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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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liebte, und ich war genau dort, wo ich sein wollte. Im Jahr darauf nahm auch mein Privatleben eine erfreuliche Wendung. Ich begann eine Beziehung mit einer Ärztin des New York Hospital, und ich spielte auf Partys regelmäßig Klavier.
    Durch meine Freundin lernte ich Murat Sungar kennen, damals türkischer Generalkonsul in New York. Murat war ein begeisterter Musiker, und ihm gefielen meine Songs. Er schrieb Arrangements dazu, und wir nahmen sie einfach so auf, ohne große Vorbereitung, mit einem Mischpult, das ich kaufte, Murat aber viel besser bedienen konnte.
    Murat schmiss große Partys, schillernde Events, zu denen neben anderen Gästen die Elite des türkischen diplomatischen Korps und der türkischen Exilgemeinde erschien, und drängte mich, dabei zu spielen. Privat für einen Freund zu spielen oder in einem öffentlichen Rahmen, bei einem Musikabend oder in einem Restaurant oder Hotel, wo die Leute nach Belieben kommen oder gehen, auf die Musik reagieren konnten oder nicht, war für mich nicht schwierig. Aber vor einem geschlossenen Kreis zu spielen, wo ich die Reaktionen der anderen Gäste unmittelbar mitbekommen würde, mobilisierte bei miralle Angstvorstellungen, nicht gut genug und ein Hochstapler zu sein.
    Allein die Anwesenheit auf Murats Partys machte mir zu schaffen, ich fühlte mich unbehaglich und schüchtern. Ich bemühte mich, die Fassade zu wahren und wie die anderen Gäste leichthin zu plaudern, aber innerlich lagen meine Nerven blank. Ich stellte fest, dass ein oder zwei Gläschen Scotch – ich verabscheute den Geruch und musste mir fast die Nase zuhalten, damit ich sie runterschlucken konnte – erstaunlich entspannend auf mich wirkten. Der Alkohol beruhigte mich in einer Weise, wie es den Benzos nie gelungen war, und ganz ohne deren unangenehme Nebenwirkungen. Der Scotch tat auch meinem Selbstbewusstsein gut. Ich fühlte mich ruhig, aufgeschlossen, wach und durch und durch wohl. Ich konnte angeregt mit einem vollkommen fremden Menschen plaudern.
    Später hörte ich das bei den Anonymen Alkoholikern immer wieder: »Ich habe mich nie wohl in meiner Haut gefühlt«, »Ich passte nie dazu« oder »Ich war nie richtig entspannt« – bis sie zu trinken anfingen. Mit ein paar Drinks spielte ich Klavier in dem sicheren Gefühl, dass ich andere Menschen unterhalten konnte. Zu Murats Freude verwandelte ich seine Partys für eine Stunde oder länger in eine Kombination aus Revue und Konzertsaal, regte die Gäste an zu tanzen, mitzusingen oder gebannt zuzuhören, wenn ich Stücke spielte, die sie sich gewünscht hatten oder die ich besonders liebte. Sobald ich bei einer seiner Partys auftauchte oder binnen Kurzem auch bei jemand anderem, baten mich die Besucher, ich solle mich doch ans Klavier setzen und spielen.
    Und so wurde ich zu einem gelegentlichen, maßvollen sozialen Trinker und blieb es viele Jahre lang.
    Nach dem Wechsel in die private Praxis hatte ich zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben kein geregeltes Einkommen, und ich machte mir wachsende Sorgen um das Geld, als meine Praxis sich über Monate nur gerade eben trug. Ich machte mir auch Gedanken über mein Alter. Inzwischen war ich über vierzig und fürchtete, mir könnte dieZeit davonlaufen, zu heiraten und Vater zu werden. Ich dachte, ich würde womöglich nie ein ausreichendes Einkommen erzielen, um eine Familie unterhalten zu können. Oder um den Lebensstil finanzieren zu können, den mein Vater uns als erfolgreicher Geschäftsmann hatte bieten können.
    Darüber hinaus fürchtete ich, alles zu verlieren, zu verarmen und obdachlos zu werden.
    Die Angst kann an jede Vorstellung andocken, ob rational oder irrational, und eine Feedback-Schleife daraus machen, die sich in Intensität und Irrationalität immer weiter steigert. Wenn die Schleife nicht früh genug unterbrochen wird, kommt man gegen die Angst und das Entsetzen nicht mehr an. Die Angst nimmt gar nicht unbedingt eine konkrete Form an, sondern besteht eher aus einem überwältigenden Gefühl, dass etwas Schreckliches geschehen wird.
    Bis dahin waren meine Ängste eine Art Hintergrundgeräusch gewesen, das ich für Tage oder sogar Wochen, aber nie komplett abschalten konnte. Von Zeit zu Zeit flackerte es auf, verschwand dann aber wieder dank einer Änderung der Situation oder eines Medikaments wie Tranxene oder Valium. Aber im Laufe der nächsten zwei Jahre wurde meine Angst immer mehr zu einer störenden Ablenkung, und ich konnte sie nicht mehr herunterregeln.
    Ich bekam

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