Das Ende meiner Sucht
unsere Freundschaft zu ruinieren.
Nach dem Mittagessen, bei dem ich konsequent nur das eine Glas Champagner trank, wanderten André und ich stundenlang in den Bergen. Dabei sprachen wir über alles, nur nicht über mein Problem, und dann musste er wieder nach Bern zurückfahren. Am Abend ging ich in eine Pizzeria zum Essen. Als der Kellner mich fragte, ob ich etwas trinken wolle, überkam mich schlagartig das Verlangen nach Alkohol. Das Glas Champagner beim Mittagessen hatte den Kreislauf wieder in Gang gesetzt, und ich wusste, es würde hart sein, dagegen anzukämpfen.
Das Verlangen nach Alkohol wurde stärker, es stieg in meiner Brust hoch, in meiner Kehle. Manchmal ist der Druck schlimmer als sonst. Das Verlangen hat zwar auch eine emotionale Komponente, aber für mich war der physische Teil am schwersten zu ertragen. Ein AA-Akronym, HALT (Hungry, Angry, Lonely, Tired), bezeichnet die Zustände, die das Verlangen verschlimmern: hungrig, ärgerlich, einsam, müde. Ich erlebte alle vier Zustände. Ich war müde vom Jetlag, einsam, ärgerlich, weil mein Freund weggefahren war, ohne dass ich hatte erklären können, warum ich ihn angerufen hatte, und hungrig, weil das Essen auf sich warten ließ.
Nur um eine weitere Eskalation zu vermeiden, bestellte ich einen doppelten Wodka Tonic und versicherte mir, ein einziger Drink werde einem großen Rausch vorbeugen. Es funktionierte beinahe. Nach dem Essen fühlte ich mich ruhiger. Aber auf dem Heimweg zum Hotel kam ich an einer Bar vorbei, und das Verlangen nach Alkohol überfiel mich mit aller Macht.
Ich betrat die Bar und bestellte einen doppelten Wodka Tonic. Ein anderer Gast kam zu mir: »Ich habe Sie letzten Sommer hier Klavier spielen hören. Sie waren fantastisch. Würden Sie noch mal spielen?«
Ich setzte mich ans Klavier, und eine Welle von Angst überrollte mich. Was, wenn ich nicht gut spielte? Auf einmal stand noch ein Wodka Tonic vor mir, spendiert von dem Gast, der mich angesprochen hatte, wie der Kellner sagte. Ich schüttete den Drink hinunterund fühlte mich großartig: entspannt, offen, glücklich. Ich spielte voller Selbstvertrauen, Gäste tanzten und applaudierten. Nach zwei weiteren Wodka Tonic ging ich in mein Hotel und fiel in einen ruhigen, erholsamen Schlaf.
Nach dem Aufwachen fühlte ich mich gut, aber am späten Nachmittag zog ich los und kaufte mir eine Flasche Wodka. Und ich trank sie, bis ich einen Vollrausch hatte. Mit großer Anstrengung stoppte ich, trank nicht weiter und schaffte es, rechtzeitig für meinen Rückflug nach New York wieder nüchtern zu sein.
Dass es mir nicht gelungen war, in den Ferien ohne Alkohol zurechtzukommen, erschreckte mich. Ich rief meine Praxishilfe Erdie an und wies sie an, alle Termine abzusagen.
»Für wie lange?«, fragte sie.
»Bis Ende des Sommers.«
»Aber warum, Doktor Ameisen?«
Ich zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Weil ich Alkoholiker bin, Erdie.«
Sie lachte und fragte nach: »Mal im Ernst, Doktor, warum?«
»Es ist mir ernst, Erdie.«
In den nächsten Wochen beschloss ich, entweder würde es mir gelingen, meinen Niedergang zu stoppen, oder ich würde mich selbst suspendieren, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte.
Praktisch von da an betrank ich mich jeden Abend. Schließlich gelang es mir, mich aus dem Sumpf zu ziehen und aufzuhören. Ich wurde krank, übergab mich, hatte überall Schmerzen und bekämpfte wie üblich die Entzugserscheinungen mit Vitamin B, Unmengen von Flüssigkeit zur Ausschwemmung und Valium. In der Regel hatte ich immer Valium im Haus, weil es mir mein Arzt zur Angstlinderung verschrieb, und seit ich bis zum Vollrausch trank, achtete ich darauf, dass immer genug da war, damit ich mich selbst entgiften konnte.
Eine Alkoholentgiftung dauert etwa fünf Tage. Nach einem Tag rief ich meine Lebensgefährtin Joan an, die außerordentlich einfühlsam war und mich sehr unterstützte, obwohl wir immer wiederaneinandergerieten, weil ich einfach nicht in der Lage war, eine längerfristige Verpflichtung einzugehen.
Am nächsten Morgen, dem 19. August 1997, bemerkte ich, dass ich kein Valium mehr hatte, und ich konnte mich nicht erinnern, wann ich die letzte Tablette genommen hatte. Mit Joans Hilfe durchsuchte ich mehrere Male die Wohnung in der verzweifelten Hoffnung, doch noch wenigstens zwei Tabletten zu finden, aber es waren keine mehr da, weder im Arzneischrank im Badezimmer noch im Nachttisch neben meinem Bett, nicht in der Küchenschublade und nirgendwo
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