Das Ende meiner Sucht
hatte.
Er sagte, er behandle sich selbst mit Baclofen und schreibe einen Aufsatz über seine Erfahrungen, der für die Publikation in einer Fachzeitschrift bestimmt sei.
Wir verabredeten uns für den 3. November 2004.
Auftreten und Erscheinungsbild von Herrn Ameisen waren bei diesem Treffen in jeder Hinsicht bemerkenswert verändert: selbstsichere Körpersprache, die ausdrückte, dass er sich in seiner Haut wohlfühlte, offenes Gesicht, reine Haut ohne Zeichen von chronischem Alkoholmissbrauch, bereitwilliger Kontakt, weder gehemmt noch unterwürfig, klare Sprache, nüchtern, tadellose Artikulation, adäquat gekleidet. Kurzum, ich sah keines der Zeichen von Alkoholkonsum, die ich bei Herrn Ameisen mittlerweile erwartete.
… Man erkennt in ihm leicht die Person wieder, die man während seiner Zeit in »voll alkoholisiertem« Zustand nur erahnen konnte. Er zeigt keine Spuren des konformistisch-abgestumpften Verhaltens, das man manchmal bei Alkoholikern antrifft, die nur »reuig« sind.Auch keinen Triumphalismus, denn Herr Ameisen sagt, er würde wieder in die psychische Abhängigkeit von Alkohol zurückfallen, wenn er das Baclofen absetzte.
Ich kann nicht entscheiden, welchen Anteil an dieser Veränderung das Baclofen oder andere Faktoren haben … Aber die Fakten – die Veränderung, die Erholung – beeindrucken mich sehr: Ich freue mich, dass ich Herrn Ameisen als Kliniker und als Therapeut diese Bestätigung schreiben kann, oder zumindest als Praktiker, der alle Anstrengungen unternommen hat, um dieses Ziel zu erreichen.
Doktor Jean-Paul Descombey
Paris, 4. November 2004
In weniger als sechs Wochen, nicht viel für einen wissenschaftlichen Aufsatz, war meine Fallstudie begutachtet, überarbeitet und zur Veröffentlichung angenommen. Sie sollte am 13. Dezember 2004 zuerst in elektronischer Form und danach in der regulären Printausgabe von Alcohol and Alcoholism erscheinen (der vollständige Text ist im Anhang abgedruckt).
Kurzfristig kamen mir Bedenken, ob ich wirklich der erste Arzt sein wollte, der in einem veröffentlichten Aufsatz über seine eigene Sucht berichtete. Dass dies offensichtlich noch kein Arzt vor mir getan hatte, nicht einmal unter Pseudonym, geschweige denn unter dem echten Namen, zeigte, wie viel auf dem Spiel stand. Es war eine quälende Entscheidung. Aber ich erinnerte mich an Philippe Coumels Worte bei meiner Rückkehr aus New York nach Paris: »Wie können Sie sich als Arzt schämen, dass Sie eine Krankheit haben?« Es war höchste Zeit, dass Sucht in der richtigen moralischen Begrifflichkeit als eine Krankheit wie jede andere betrachtet wurde, und ich konnte nur hoffen, durch die Veröffentlichung des Aufsatzes unter meinem richtigen Namen zu dieser Sicht der Dinge beizutragen. Wenn sich die Behandlung von Alkoholismus dadurch verbesserte, lohnte es sich, das Tabu zu brechen.
8. DAS ENDE DER SUCHT?
Am 12. Dezember 2004, einen Tag vor der elektronischen Veröffentlichung meines Fallberichts in Alcohol and Alcoholism, ging mir auf, dass ich noch gar nicht mit meiner eigenen Alkoholspezialistin Dr. S. gesprochen hatte, weder über meine Genesung noch über den Fallbericht. Im Laufe des zurückliegenden Jahres war ich nur unregelmäßig zu ihr gegangen, weil ich mit der konventionellen Alkoholtherapie keinerlei Fortschritte machte. Aber sie behandelte mich immer sehr freundlich und verdiente es, meine Erfahrungen und Erkenntnisse direkt von mir zu hören. Dementsprechend mailte ich ihr eine Kopie des Fallberichts mit einer persönlichen Notiz dazu, und wir verabredeten uns für Ende Januar.
Eine Woche später meldete sich Giovanni Addolorato bei mir, dessen Aufsätze über die Wirkung von niedrig dosiertem Baclofen mich ermutigt hatten, höhere Dosen an mir selbst auszuprobieren. Er bat um einen Ausdruck meines Berichts, den ich ihm umgehend schickte. Zehn Tage später stieß ich im Internet auf das Abstract eines neuen Aufsatzes von Addolorato über den Einsatz von Baclofen bei der Verhinderung von Alkoholentzugssymptomen. Auf meine Bitte schickte er mir einen Ausdruck und schrieb dazu:
Glückwünsche zu Ihrem Aufsatz in Alcohol and Alcoholism ; eine Frage: Setzen Sie die Baclofen-Therapie immer noch fort (wenn ja, mit welcher Dosis)? Und sind Sie immer noch abstinent?
Mit besten Grüßen
Giovanni
Von da an redeten wir uns mit Vornamen an, und bald ging das auch so mit seinen Kollegen Giancarlo Colombo, Roberta Agabio und Fabio Caputo. Giovanni und Giancarlo sagten, wenn ich
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