Das Ende meiner Sucht
die wichtigsten Fakten richtig und in dramatischer Weise dar.
Ich hoffte kurzzeitig, der Artikel in Business Week könnte weitere Kontaktaufnahmen aus der medizinischen und wissenschaftlichen Community oder mehr mediale Aufmerksamkeit zur Folge haben, doch vergebens.
Georges Moroz, Colin Martin und Catherine Arnst – und vor ihnen Boris Pasche und mein Bruder Jean-Claude –, alle mit verschiedenen Hintergründen, keiner von ihnen ein Experte für Suchtprobleme, hatten sofort begriffen, dass mein Behandlungsansatz nichts mit konventionellen Suchttherapien zu tun hatte. Das legte die Frage nahe, ob womöglich die in der Suchtbehandlung und -forschung Tätigen nicht in der Lage waren, über den Tellerrand ihrer Disziplin hinauszublicken – ein in jedem medizinischen Fachgebiet geläufiges Phänomen, von der menschlichen Natur generell ganz zu schweigen –,oder ob Experten wie Dr. S. und der Leiter ihrer Abteilung größere Lücken in meiner Argumentation sahen. Aber Richard Glass, der JAMA -Herausgeber, der mir empfohlen hatte, meinen Fallbericht bei Alcohol and Alcoholism einzureichen, Jonathan Chick und die beiden Gutachter, die meine Arbeit geprüft hatten, waren Experten für Suchterkrankungen, und sie hatten keine Lücken bemerkt.
Ich wünschte mir verzweifelt ein Feedback, das mir ein besseres Gefühl für den Wert meines Papers vermitteln würde, und schickte es deshalb an Jean Dausset, einen der wenigen noch lebenden französischen Nobelpreisträger in Medizin. Zwar erwartete ich, dass er in Anbetracht unserer Freundschaft das Paper wohlwollend aufnehmen würde, aber ich wusste auch, dass er viel zu sehr strenger Wissenschaftler war, als dass dies sein Urteil beeinflusste. Er würde mir offen sagen, wenn er glaubte, meine Erfahrung mit Baclofen sei nur eine glückliche Ausnahme. Ein paar Tage später rief mich seine Frau Rosita an und teilte mir mit, dass Jean mich sehen wolle. Ich besuchte sie zum ersten Mal seit langer Zeit in ihrer wunderschönen Wohnung in Saint-Germain. Beide begrüßten mich herzlich und drückten ihre Freude aus, dass ich so gut aussah.
Jean schloss mich in die Arme. »Du hast die Behandlung für Sucht gefunden.«
»Nun, vielleicht nur für meine Alkoholabhängigkeit.«
»Für Sucht!«, beharrte er.
Dann diskutierten wir die Folgerungen aus dem Bericht. »Medizinische Dogmen ändern sich manchmal nur langsam«, warnte mich Jean.
Ermutigt durch Jeans Urteil über den therapeutischen und wissenschaftlichen Wert meines Fallberichts beschloss ich, die Initiative zu ergreifen und ihn mit der Bitte um Feedback an ein paar Forscher zu schicken. In PubMed fand ich nicht nur Abstracts, sondern auch die E-Mail-Adressen von Forschern, wenn auch nicht immer die aktuellsten. Im Mai, während ich überlegte, was ich David Roberts schreiben sollte, dem Physiologen, dessen Studien mitkokainabhängigen Ratten die Grundlage für alle weiteren Forschungen mit Baclofen gelegt hatten, erhielt ich eine E-Mail von George Koob.
Professor Koob entschuldigte sich zuerst, dass seine Reaktion so lange auf sich hatte warten lassen; meine Mail sei an eine veraltete Adresse von ihm gegangen. Und dann schrieb er, genau wie Georges Moroz es prophezeit hatte: »Ich fand Ihren Fallbericht faszinierend.« Er schrieb weiter, er habe gerade ein Experiment beendet, inwieweit Baclofen bei alkoholabhängigen Ratten den Alkoholkonsum unterdrücken könne, und fügte hinzu: »Ich persönlich hoffe, dass unsere Daten aus den Tierversuchen und Ihre Ideen letztlich dazu führen werden, dass man Wirkstoffe aus dem Umkreis von Baclofen zur Behandlung von Alkoholismus einsetzt.«
Angespornt durch seine ermutigende E-Mail, schickte ich meinen Fallbericht an David Roberts. Ich bedankte mich bei ihm für die Hoffnung, die seine Arbeiten in mir geweckt hatten, als ich in nüchternen Phasen über Baclofen recherchierte. Er antwortete rasch: »Bitte seien Sie versichert, dass Ihr Schreiben mich darin bestärkt, weiter an Baclofen und verwandten Wirkstoffen zu forschen. Ich glaube auch, dass Sie durch die Veröffentlichung Ihrer Erfahrung dazu beigetragen haben, eine sehr skeptische Leserschaft zu überzeugen, dass Baclofen einer gründlichen Erforschung wert ist.« David Roberts leitete mein Paper an Anna Rose Childress weiter, die mir in ähnlichem Tenor schrieb.
Koob brachte mich später in Kontakt mit einem der weltweit führenden Suchtforscher, Charles O’Brien, Inhaber des Kenneth-E.-Appel-Lehrstuhls für Psychiatrie an
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