Das Ende meiner Sucht
Substanzmissbrauch und unabhängig davon bestehenden Stimmungs- und Angststörungen waren überwältigend positiv und signifikant«. 3
Wie sehr wünschte ich, dieser Aufsatz wäre Jahre zuvor erschienen! Aber ich war dankbar, dass ich ihn nun hatte und in dem Fallbericht daraus zitieren konnte.
Ich mailte den Entwurf an Boris Pasche, und der gab ihn dem leitenden Herausgeber des JAMA, Dr. Richard Glass, der Psychiater und Suchtmediziner war. Dr. Glass schickte mir umgehend eine E-Mail und teilte mir mit, er finde meinen Aufsatz zwar faszinierend, aber das JAMA veröffentliche grundsätzlich nie Fallberichte. Er empfahl mir, den Aufsatz an die Zeitschrift Alcohol and Alcoholism zu schicken, die der British Medical Council on Alcohol bei der Oxford University Press herausgibt.
Ich suchte die Zeitschrift im Internet und stellte fest, dass sie zwei leitende Herausgeber hatte, einen in Edinburgh und einen zweiten in Belgien. Auf den britischen Inseln ist man traditionell originellen Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen, manchmal offener für Innovationen als auf dem europäischen Kontinent, und ich hoffte, mein Paper würde dem schottischen Herausgeber Dr. Jonathan Chick gefallen.
Jonathan Chick sagte mir später, mein Bericht über meinen eigenen Fall habe ihn so bewegt, dass er befürchtet habe, seine emotionale Reaktion könnte sein Urteil als Herausgeber trüben. Entsprechend dem üblichen Prozedere leitete er das Paper an zwei führende Suchtforscher zur Begutachtung und Kommentierung weiter, und deren anonyme Stellungnahmen wurden umgehend an michzurückgeschickt. Beide Gutachter sprachen sich begeistert für die Veröffentlichung aus, einer schrieb, das Paper sei »ein Juwel, das es verdient, in der wissenschaftlichen Community verbreitet zu werden«. Beide Gutachter meinten übereinstimmend, das Paper wäre wirksamer, wenn es kürzer wäre, und schlugen eine Reihe kleinerer Verbesserungen vor.
Ich überarbeitete den Aufsatz und reichte ihn erneut ein. Jonathan Chick hatte noch einen – durchaus berechtigten – Wunsch: Er bat um die Bestätigung durch einen meiner Ärzte. Ich rief Jean-Paul Descombey an, der mir für den nächsten Tag einen Termin gab und dann an Chick schrieb:
Ich, der unterzeichnende Doktor Jean-Paul Descombey, ehemaliger Leiter der Psychiatrie am Hôpital Sainte-Anne und Mitglied des Verwaltungsrats der französischen Gesellschaft für Alkoholforschung, erlaube mir, die folgende Bestätigung hinsichtlich Doktor Olivier Ameisen auszustellen.
1. Doktor Ameisen wurde kurz nach seiner Rückkehr aus den USA nach Frankreich mein Patient und ist es seither geblieben … Er litt an Alkoholabhängigkeit in Verbindung mit einer starken neurotischen Komponente mit Angstsymptomen, die sichtbar waren, wenn sie nicht durch den massiven Konsum von Alkohol (Whisky) überlagert wurden.
Trotz wiederholter stationärer Unterbringung in unterschiedlichen spezialisierten Einrichtungen, regelmäßiger Teilnahme an Treffen der Anonymen Alkoholiker und einer positiven Beziehung zu mir während unserer Sitzungen, die wöchentlich stattfanden, soweit sein Zustand es zuließ, war Dr. Ameisen in den Jahren 2000 bis 2002 nicht in der Lage, länger als ein paar Tage nüchtern zu bleiben.
Der Verlauf seiner Krankheit war geprägt durch zahlreiche Unfälle und körperliche Verletzungen infolge seines massiven Alkoholisierungsgrads. Sein somatischer Zustand verschlechterte sich, unter anderem auch durch Vernachlässigung seines Körpers und seinerWohnung. Bis auf einige wenige Kollegen und Freunde zogen sich ihm nahestehende Menschen zurück mit der bemerkenswerten Ausnahme einiger Freunde bei den Anonymen Alkoholikern, die oft selbst vom Zustand und Verhalten des Dr. Ameisen überwältigt waren. Seine biologischen Parameter blieben trotzdem normal mit Ausnahme von [dem Leberenzym] Gamma-GT [Gammaglutamyltransferase] und den Transaminasen.
Sein Zustand erreichte den Punkt, an dem selbst eine kontinuierliche professionelle psychiatrische Beziehung unmöglich wurde beziehungsweise die Gefahr bestand, sie könnte in eine unaufrichtige, simulierte Form von Therapie umschlagen.
Ich sah Herrn Ameisen über mehr als ein Jahr nicht mehr, er rief nur gelegentlich an und berichtete, wie es ihm ging.
2. Herr Ameisen kontaktierte mich kürzlich telefonisch, teilte mir seine (guten) Neuigkeiten mit klarer, selbstsicherer Stimme mit, die sich deutlich von der Stimme unterschied, die ich bei früheren Telefongesprächen gehört
Weitere Kostenlose Bücher