Das Ende
Wärmebilder an. Wir haben eine Goldgrube erwischt!«
Ed White stand von seiner Arbeitsstation auf und sah zu den beiden hinüber. »Mädels, ihr seid vollkommen durchgeknallt. Bis dreiundzwanzig-null-null ist der Hudson eine Flugverbotszone.«
»Kümmere dich nicht um ihn, Kyle. Wie viele Personen hast du?«
Kyle warf einen Blick auf die Daten, die neben den Wärmebildaufnahmen über den Monitor liefen. »Zweihundertachtundzwanzig Personen … siebzehn Hunde und ein paar Hundert Ratten.«
»An die Waffen, Partner. Es wird Zeit, das Ungeziefer zu rösten.«
Mit rasendem Puls gab Kyle die Befehle in seine Steuerkonsole ein. »Eine Hellfire aktiviert und abschussbereit. Ich warte schon die ganze Nacht darauf, eins von diesen Babys loszulassen.«
»Noch zwanzig Sekunden. Mein Gott, tut das gut … Mach schon, Baby … Was für ein süßer Schmerz! Und los geht’s, mein Liebling. Vier … drei … zwei …«
Kyle grinste. »Es wird Zeit, das Licht in die Nacht zu tragen.«
Hudson, Manhattan, New York
22:54 Uhr
Es gab kein verräterisches Turbinengeräusch und keinerlei Vorwarnung – nur einen blendend weißen, phosphoreszierenden Ausbruch an Energie, der die Nacht zum Tag machte, gefolgt von einer donnernden Explosion, deren Hitzewelle sich in alle Richtungen über den Fluss hinweg ausbreitete.
Patrick fiel auf die Knie und bedeckte seinen Kopf. Purpurne Flecken trübten seinen Blick, und seine Trommelfelle
klingelten, als die gewaltige Hitze ihn einhüllte und …
… ein Regen glühender Splitter um ihn herum niederging. Glühend heißer Müll fiel zischend in die aufgewühlten Fluten des Hudson; verkohlte Fetzen menschlichen Fleisches fielen zur Erde und brachten den Schnee um ihn herum zum Schmelzen wie verbrannte Marshmallows, die aus einem unkontrollierten Lagerfeuer herausgeschleudert werden. Erst als der Trümmerhagel aufgehört hatte, wagte er es, den Kopf zu heben und einen Blick auf die sinkende Feuerinsel zu werfen.
Im Schimmer der langsam schwächer werdenden Flammen konnte er einen weiteren Beobachter erkennen, der zu seiner Linken stand. Der Sensenmann legte seinen von der Kapuze bedeckten Kopf in den Nacken, und seine knochigen Arme breiteten den flügelartigen Mantel weiter aus, als atme das übernatürliche Wesen die Seelen der verbrannten Schiffspassagiere ein.
Langsam drehte sich der düstere Schnitter zu ihm um. Die zuvor leeren Augenhöhlen des Todes waren nun mit Hunderten flackernder Augen erfüllt. Von der geschwungenen, olivgrünen Klinge seiner Sense tropfte frisches Blut.
Es war, als stecke Sheps Kehle in einem Schraubstock. Seine Muskeln waren vollkommen erstarrt.
Ein fauliger Windstoß kühlte die durchnässte Erde. Ein purpurner Blitz schoss durch den wirbelnden Himmel.
Die Dunkelheit streckte ihre Arme nach Patrick Shepherd aus und zog ihn in die Hölle.
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VIERTER HÖLLENKREIS
GEIZIGE UND VERSCHWENDER
»Im Geben und im Nehmen ohne Maß, verloren sie das Schönste, und nun zanken sie hier sich derart, daß ich’s nicht mehr schildre. Betrachte dir, mein Sohn, den kurzen Spaß der irdschen Güter in Fortunas Hand, um die das menschliche Geschlecht sich rauft. Denn alles Gold, das unterm Monde liegt und jemals lag, kann von den Müden allen nicht einer Seele ihre Ruhe schaffen.«
DANTE, Die Göttliche Komödie,
»Hölle«, Siebenter Gesang
2 0 . DEZEMBER
Am Ufer des Hudson, im Norden Manhattans
23:04 Uhr
(8 Stunden und 59 Minuten vor dem prophezeiten Ende der Tage)
Patrick Shepherd schlug die Augen auf. Der Hagel aus menschlichen Körperteilen hatte aufgehört. Die Wolkendecke über ihm war an einigen Stellen aufgerissen, sodass man den Sternenhimmel sehen konnte.
»Geht es dir gut, mein Sohn? Du bist plötzlich in Ohnmacht gefallen.«
Er sah hoch zu Virgil. Der alte Mann kniete neben ihm. »Was ist passiert?«
»Irgendetwas hat den Frachtkahn zerstört, wahrscheinlich eine Drohne. Bei der Explosion musst du das Bewusstsein verloren haben.«
»All diese Menschen …«
»Sie sind so gestorben, wie sie gelebt haben: ausschließlich um sich selbst kreisend.«
Die Erinnerungen strömten auf Shep ein. »Virgil, ich habe ihn gesehen. Er stand am Ufer, nur wenige Augenblicke vor der Explosion.«
»Wen hast du gesehen?«
»Den Todesengel. Den Sensenmann. Den düsteren Schnitter. Er folgt mir, seit ich mit dem Hubschrauber abgestürzt bin.«
»Beruhige dich.«
»Der Impfstoff hat nichts damit zu tun, Virgil. Das ist keine Halluzination. Du musst mir
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