Das Engelsgrab
ebenfalls aufstand. Wir begleiteten Mrs. Cramer hinaus und vorbei an einer sehr nachdenklich wirkenden Glenda Perkins.
»Was hältst du davon?« flüsterte sie mir zu. »Glaubst du ihr alles, John?«
Ich hob die Schultern. »Das kann ich nicht sagen. Wie eine Lügnerin oder Schauspielerin sieht sie mir nicht aus. Ich glaube nicht, dass sie sich so etwas aus den Fingern gesaugt hat.«
»Meine ich auch.«
Ich zwinkerte ihr zu und sagte: »Wir werden sehen, Glenda, was sich daraus ergibt.«
Suko hatte Mrs. Cramer schon nach draußen begleitet. Am Fahrstuhl traf ich sie wieder. »Wo wohnen Sie, Mrs. Cramer?«
»In der Nähe von Euston Station. Praktisch zwischen dieser Bahnstation und dem Regent's Park.«
»Wir werden trotzdem den Wagen nehmen.«
»Ja«, sagte sie und stieg als erste in den Fahrstuhl. Dort wischte sie über ihr Gesicht. »Ich habe Angst«, flüsterte sie uns zu. »Ich habe wirklich Angst.«
»Vor wem?« fragte Suko.
»Auch wenn es sich lächerlich anhört. Vor einem großen Unbekannten, der es sogar schafft, Schutzengel zu ermorden…«
***
Das Haus lag in einer verhältnismäßig ruhigen Straße, aber der Lärm des Bahnhofs war trotzdem zu hören, allerdings ziemlich abgeschwächt.
Es bestand aus vier Stockwerken, und die Cramers wohnten im letzten.
Wir waren ziemlich lange gefahren, hatten keinen Parkplatz gefunden, und so stand der Rover leicht verbotswidrig an einer Straßenecke und direkt vor einem Pub. Da die Tür zum Lokal offen stand, hatten uns die Gäste schon angegrinst, nachdem sie den Parkplatz gesehen hatten, und es näherte sich auch schon eine Politesse, die ich Suko überließ, denn ich schob Lilian Cramer vor.
Sie war auch jetzt tief in Gedanken versunken. Manchmal schüttelte sie auch den Kopf, als könnte sie all die Dinge einfach nicht fassen, die da auf sie zugerollt waren. Einen Lift gab es nicht, und so stiegen wir die Treppen bis zur letzten Etage hoch. Im Flur war es sauber, doch die Luft roch abgestanden.
Suko hatte uns inzwischen eingeholt und war leicht sauer, denn er hatte mit der Politesse einen mittelschweren Stress gehabt. »Wenn noch einmal so etwas passiert, John, dann wirst du dich um die Frau kümmern.«
»Alles klar.«
In der letzten Etage blieben wir vor einer hell lackierten Tür stehen.
»Lilian und Toby Cramer« stand auf dem Schild. Die Frau schloss die Tür auf und ließ uns eintreten. Es war eine kleine Wohnung, die allerdings für zwei Personen genügend Platz bot.
Toby musste unser Eintreten gehört haben, denn er meldete sich aus einem der Zimmer.
»Mum? Bist du da?«
»Ja, Toby.«
Wir standen im engen Flur. Eine Tür öffnete sich. Toby wollte aus dem Zimmer springen, blieb aber stehen, als er uns sah und bekam große Augen.
»Hallo, Toby«, sagte ich. Auch Suko grüßte lässig.
»Wau!« Toby staunte. »Seid ihr die beiden Polizisten, die meine Mummy kennt?«
»Das sind wir.«
»Und ihr seid wirklich so gut?«
»Das wird sich noch herausstellen«, sagte ich. »Es kommt auch darauf an, was du uns zu erzählen hast.«
Toby, der die gleiche Haarfarbe hatte wie seine Mutter, nur noch etwas lockiger, schaute Lilian an. »Was hast du Ihnen denn gesagt, Mum?«
»Noch nicht viel. Das andere wollte ich dir überlassen. Und wir alle hoffen, dass du dich erinnerst.«
Tobys Gesicht mit den vielen Sommersprossen verschloss sich. »Ich weiß das auch nicht so genau«, gab er zu.
»Erinnerst du dich nicht mehr?« fragte ich.
»Doch, das schon.«
»Dann ist ja alles klar. Sollen wir in dein Zimmer gehen, Toby?«
»Können wir.«
»Möchten Sie etwas trinken?« erkundigte sich Lilian Cramer. »Hier ist es warm. Eine Erfrischung könnte nicht schaden.«
Wir entschieden uns für Wasser. Toby bestellte Orangensaft, den er auch bekommen sollte.
In seinem Zimmer sah es gemütlich aus. Gerade richtig für einen Jungen in seinem Alter. Nur das Monsterspielzeug gefiel mir weniger.
Dafür bestaunten wir die Hubschrauber an der Decke und auch die zahlreichen Autos, die in Reih und Glied standen.
»Habe ich alles gesammelt!« erklärte der Junge voller Stolz, und seine Augen blitzten dabei.
»Wirklich toll.«
Mrs. Cramer erschien. Sie hatte zwei leichte Stühle mitgebracht, damit wir alle Platz fanden. Toby war natürlich der Mittelpunkt. Er saß auf dem Bett und hielt sein Glas mit dem Orangensaft umklammert.
Gespannt blickte er uns an, und wir schauten ebenso gespannt zurück.
Auf dem Schreibtisch lagen einige aufgeschlagenen Hefte. Der
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