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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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nicht beschlagen, schickt uns Pelle her!
    Und Pelle mußte sich auf den Weg machen und den Leuten beibringen, wie man kitzlige Pferde beschlägt. Er kannte jedes Pferd im meilenweiten Umkreis, und wenn die Vennebjörkebauern mit ihren Milchkarren zur Molkerei nach Vimmerby fuhren, dann konnte er allein aus dem Hufgetrappel und dem Rollen der Wagenräder schließen, welcher Bauer es war.
    Von diesen Vennebjörkebauern hatten wir Kinder übrigens unser Gutes, denn sie mußten durch unser Hofgatter, und waren wir rechtzeitig zur Stelle, passierte es schon, daß sie uns ein Zweiörestück als Wegegeld zuwarfen. Sehr üppig war das ja nicht gerade und keinesfalls mit dem zu vergleichen, was unser Vater als kleiner Junge gekriegt hatte, als er mit Grossist Sörensen in der Droschke mitfahren und ihm dreizehn Gatter zu fünf Öre das Stück öffnen durfte. Diese Geschichte konnten wir nicht oft genug hören, und im Vergleich dazu kamen uns die Vennebjörkebauern recht geizig vor. Besonders der eine, der meinte, wir brauchten kein Wegegeld, denn wir hätten ja einen so reichen Vater. Von Reichtum hatten wir zwar nichts bemerkt, aber da fast alle Bauern während des Ersten Weltkrieges recht gut verdienten, könnte ich mir denken, daß es auch bei unserem Vat er so war. Es aber gesagt zu be kommen, wenn man gerade auf eine Münze wartete, war schon bitter. Und mag erklären, warum Stina so antwortete, wie sie es getan hat, als eine . Dame sie einmal freundlich fragte:
    »Wie geht es denn dem kleinen Fräulein?«
    »Ich bin kein Frollein«, antwortete Stina pat zig, »ich bin nur 'ne reiche Bauerstochter.«
    0 ja, sogar ein kleines, ungehobeltes Bauernbalg konnte selbstbewußt sein. Und warum auch nicht? War es nicht stets und ständig das ungehobelte Bauernvolk gewesen, das in der Stunde der Gefahr eingegriffen hatte, war es nicht unser Vater gewesen, der sich aufgemacht und dem König gegen diesen schrecklichen »Staff [1] « von dem man. so viel hörte, zu Hilfe geeilt war?! »Mitglied des Bauernzuges Nr. IO 364« – das war unser Vater! Und auf die Rückseite des blaugelben Mitgliedsausweises, den er aus Stockholm heimbrachte, hatte er geschrieben: »Am 6. Februar 1914 war Unterzeichneter bei S. M. dem König in Begleitung von 30 ooo Bauern.« Das fanden wir großartig. Die anderen 30 ooo mochten wohl auch ein wenig mitgeholfen haben, wir aber waren ganz sicher, daß es unser Vater gewesen war, der dafür gesorgt hatte, daß man diesem »Staff« einen Na senstüber versetzt hatte. Andernfalls hätte es vielleicht geendet wie auf unserem Hühnerhof. Dort ha tten wir zwei Hähne, die »Staff « und »König« getauft worden waren, weil sie sich dauernd in den Federn lagen. Wir standen voll und ganz auf Seiten des »Königs«, aber was half das? Ei nes schönen Tages hackte »Staff « ihn tot, und da lag er entleibt vor dem Pferdestall. So übel erging es dem richtigen König nicht, vor allem nicht dank unserem Vater, davon waren wir überzeugt. Er brachte seinen Kindern drei wunderschöne Schnupftücher aus Stockholm mit. (Die Kleinste, Mamas »Nickon«, brauchte noch kein Taschentuch, denn sie war noch gar nicht geboren.) Auf diese Tücher waren Bilder gedruckt, herrliche Bilder von Schloß und Reichstag und der Königlichen Familie. Man hatte uns ja dazu erzogen, Gott, König und Vaterland zu lieben und zu ehren, und gehorsam liebten und ehrten wir auch das ganze Königsh aus außer dieser »Maria Palama [2] « , die dem König immer den Stuhl wegzog, wenn er sich hinsetzen wollte – sofern man den Gerüchten, die bis in unseren Winkel des Vaterlandes gedrungen waren, Glauben schenken durfte. Zur Strafe für diese und andere Sünden sc hneuzten wir uns ausschließlich in das Bild von »Maria Palama«- auch kleine Rache ist Rache!
    Unsere Vergnügungen waren spärlich. Aber im Sommer und Winter gab es ja die Fa m ilienfeiern, und es waren viele und fröhliche. Der Spaß bestand vor allem darin, daß man dann eine Unmenge Vettern und Kusinen traf, die sich alle aufs Spielen verstanden. Nicht zuletzt war auch die mit dem Festschmaus verbundene Hin- und Rückfahrt äußerst vergnüglich. Natürlich machte es Spaß, in dem von dem Pferdegespann Maj und Maud gezogenen Kremser zu fahren, behaglich dort oben zu thronen und sich in Ruhe alles angucken zu können. Meistens schien die Sonne, und es roch gut nach Pferden und sonnendurchwärmtem Leder und harzigen Kiefern. Wie still und friedlich alles war – falls man nicht das Pech

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