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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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hatte, einem »Attemobil« zu begegnen. Dann schlug das Entsetzen in den Kremser ein, Papa sprang ab und hielt die Pferde an den Zügeln, nein, in den Wald führte er sie nicht, wie es manche Bauern taten, er hielt sie nur, damit sie ruhig blieben und nicht scheuten. Und wir saßen zitternd da, bis das Ungeheuer vorübergerattert war. Hinterher war die Erleichterung groß, und da wurden wir auch ganz aufgekratzt, denn, m an stelle sich vor, wir hatten ja ein »Attemobil« gesehen, und das war ein seltenes und bemerkenswertes Ereignis, etwas, das man auf Großmutters Festschmaus erzählen konnte.
    Ein paar Stunden dauerte es, dorthin zu kommen, und langten wir an, stand Großmutter wie gewöhnlich auf der Vortreppe, um uns zu begrüßen. »All meine Kinder und all meine Kindeskinder«, sagte sie und weinte vor Rührung. Und dann f ü gte sie geschwind hinzu, daß wir auf gar keinen Fall zum See hinunter dürften, denn das könne nur damit enden, daß wir ertränken. Und fast genauso geschwind waren wir unten am See, kamen aber dennoch stets nicht ertrunken zurück.
    Auf so einem Festschmaus in Småland wurde viel gegessen. Alltags war die Kost einfach, aber gab es einen Schmaus, dann wurde auch geschmaust. Wir Kinder hatten alle Mühe, uns vor dem meisten, was da aufgetischt wurde, zu drü ck en, um Zeit für unsere Spiele zu ergattern. Kaffee mit Rosinenbrot und Kuchen gab es gleich nach der Ankunft gegen elf Uhr. Dann dauerte es nur ungefähr eine Stunde, und die zahllosen Vorgerichte zum Mittagessen wurden aufgetragen. Mehr brauchte jedenfalls kein Kind, um proppensatt zu sein, danach machten wir uns davon und kehrten zu unseren Spielen zurück. Aber auf eins konnte man sich verlasse n: prompt kam ein Erwachsener an gestürzt und ermahnte uns reinzukommen, denn »nu gibt's Braten«. Dieses »Nu gibt's Braten« schwebte als ständige Drohung über uns, auch wenn es uns m eistens gelang, uns davor zu drücken, bis die Süßspeise auf den Tisch kam. Ein Stü ckch en Käsekuchen mit Kompott und Schlagsahne ließ sich notfalls immer noch verdrücken. Aber wir hörten nie auf, über die Großen zu staunen, die, soweit wir das beobachteten, vom ersten bis zum letzten Augenblick nichts anderes taten als essen. Danach gab es wieder Kaffee und Kuchen, doch dann war es auch schon fast Abend geworden. Und wenn unsere Mutter und ihre Geschwister » O h wie se ...« anstim m ten, dann wußten wir, daß es Zeit für die Heimfahrt war. »Oh, wie selig, dort zu wandern« sangen sie mehrstimmig und so schön, und dann folgte noch »So geht ein Tag von unsrer Zeit«. Auch an die Heimfahrten erinnere ich mich gut, müde saß man da und sah den schwarzen Wald und darüber den hellen Sommerhimmel.
    A ber noch besser erinnere ich mich der Heimfahrten von den Weihnachtsfeiern wenn man eingemummt im Korbschlitten lag, das Schellengeläut in den Ohren und den funkelnden Sternenhimmel über sich.
    Ja, bestimmt war es eine gute Sache, Kind im Pferdezeitalter zu sein. Bevor es auf den Straßen und Wegen von Autos wimmelte. Und als man kaum mal ein Flugzeug zu sehen bekam. »Kaum mal«, habe ich gesagt, wohlgemerkt! Denn immerhin hatten wir einen Apparat dieser Sorte mit eigenen Augen erblickt.
    Nämlich den, der eines Tages im November 1912 hinter unserem Kuhstall heruntergetrudelt kam. Ein reichsbekannter Flugpionier war es, der da vom Himmel herunterkrachte.
    Dahlbäck ist's, der fliegen kann,
nur purzelt er runter dann und wann,
    und das, was man so spöttisch sang, stimmte genau. Daß er aber ausgerechnet hinter unserem Kuhstall runterpurzeln würde, das war mehr, als man als Kind zu hoffen gewagt hätte. Mein Bruder und ich kamen als erste zum Unglücksplatz und hörten seine wilden Flüche und Verwünschungen, als er dort neben seinem Wrack hockte. Er war ja unterwegs nach Kopenhagen und Deutschland, dieser Dahlbäck, und es paßte ihm ganz und gar nicht, daß er jetzt hinter unserem Kuhstall gelandet war.
    Aber oh, wie glücklich waren wir, ihn bei uns zu haben, un d mit welchen Wonneschauern hör ten wir ihn fluchen!
    Auch die Viehmärkte gehörten zu dem Pferdezeitalter und starben mit ihm aus. Am letzten Mittwoch eines jeden Monats war in Vimmerby Viehmarkt, und gleich beim Erwachen hörte man von den entfernten Koppeln und Weiden Viehgebrüll. Besonders der Herbstmarkt im Ok tober und der Frühjahrsmarkt im Mai waren große Volksfeste. Da strömten die Bauern von ihren Höfen ringsum herbei, und alle Mägde und Knechte hatten frei

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