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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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mein »Ein reines Herz«, das so fromm den kleinen Pfad zwischen Faulbaum und Haselstrauch dahinwandern durfte, den Bach entlang, wo im Frühling die Sumpfdotterblumen gelb leuchteten, am Feldrain vorüber mit all den Walderdbeeren und danach an der Quelle, der tiefen und geheimmisvollen, wo in der Sommerhitze die Milch gekühlt wurde, bis hin zu dem uralten Waschhaus, das dort so einsam im Grünen versteckt lag, um schließlich – amen! – am Graben aufzuhören, wo das Gold m ilzkraut wuchs.
    Einen lieblich eren Wanderweg kann kein Ge bet je gehabt haben. Heute freilich muß sich »Ein reines Herz« ganz heimatlos und verloren vorkommen. Denn der kleine Pfad ist verschwunden, der Bach mit den Sumpfdotterblumen fort, ebenso die Quelle und der Graben mit dem Goldmilzkraut, das Waschhaus steht nicht mehr, nie wieder können Kinder dort am Samstagabend im Zuber gebadet werden und hinterher heiß und reingeschrubbt in Frühjahrskühle, Herbstregen oder Winterschnee den »Ein reines Herz«-Pfad nach Hause laufen. All das ist nicht mehr, nur in der Erinnerung einiger weniger lebt es noch.
    In der Erinnerung – was schlumm ert da nicht alles an Duft und Geschmack, an Lauten und Bildern aus einer verschwundenen Kindheit. Ganz unversehens kann all das wieder erwachen und fast so sein wie einst ..., nein, jetzt habe ich geschwindelt, ganz und gar nicht wie einst! Aber noch habe ich nicht alles vergessen, noch kann ich sehen und den Duft spüren und mich der Seligkeit des Heckenrosenbusches auf der Rinderkoppel erinnern, der mir zum erstenmal gezeigt hat, was Schönheit ist. Noch kann ich an Sommerabenden den Wiesenknarrer im Roggen hören und in den Frühlingsnächten das Rufen der Käuzchen auf dem Eulenbaum, noch spüre ich, wie es ist, aus Schnee und beißender Kälte in einen warmen Kuhstall zu kommen ich weiß wie sich eine Kälberzunge auf der Hand anfühlt, wie Kaninchen riechen, wie es im Wagenschuppen duftet und wie es sich anhört, wenn die Milch in den Eimer zischt, und noch kann ich die winzigen Krallen frisch ausgeschlüpfter Küken auf der Hand spüren. Der Erinnerung wert ist dies alles wohl nicht. Das Besondere daran ist die In tensität, mit der man es erlebte, als man noch jung war.
    Wie lange her das sein m uß! Wie hätte sich die Welt sonst so unglaublich verändern können? Konnte das alles wirklich in einem kurzen halben Jahrhundert so anders werden? Meine Kindheit verlebte ich in einem Land, das es nicht mehr gibt, aber wohin ist es entschwunden? Mehr Menschen als ich haben sich dies wohl gefragt, doch niemand hat es besser ausgedrückt als Alf Henriksson. Er denkt zurück an »Das entschwundene Land«:
    Wo haust der Wiesenknarrer nun, wo trottet
    das Ochsengespann
    gemach und langsam seine Runde im
    knirschenden Holz des Göpels?
    Weich wie Seide lag der Staub des Weges
    unter den Kinder füßen,
    und der Mehltau der Stachelbeeren harrte noch
    jenseits weiter Meere.
    Wo ist das versperrte Gatter auf der Höhe des
    Hügels,
    W o die Lehmspur eisenbeschlagener Räder der
    Kalesche,
    wo die Schar der Blusenmänner des Abends
    an der Ecke des Bethauses,
    das Klappern der Bleuel am eisigen Rande
    des Waschstegs?
    Ein anderes Land trat hervor mit milderen
    Wintern
    und bleicheren Sommern und kürzeren
    Wegen und Tagen.
    Undurchdringlicher Fichtenwald beschattet
    die Wiese der Kindheit
    wo nie sich ein Wanderer vom Asphaltweg nähert
    über des Junis Katzenpfötchen über des Julis
    gemähtes Gras.
    Und ste inalt sitzt dort der Schutzmann, der die
    Raufenden auseinander trieb ,
    und lächelt über seine Pickelhaube.
    Es begann in Kristins Küche
    Es begann in Kristins Küche, als ich ungefähr fünf Jahre alt war. Bis dahin war ich ein kleines Tier gewesen, das mit Augen, Ohren und allen Sinnen nur das in sich eingesogen hatte, was Natur war. Daß es auch Kultur gab, erfuhr ich erst, als ich auf Kinderbeinen in Kristins Küche stiefelte, wo mich überraschend ein Hauch davon streifte.
    Kristin war mit unserem Kuhknecht verheiratet, und was wichtiger war, sie war Edits Mama. Diese Edit – gesegnet sei sie jetzt und allezeit – las mir das Märchen vom Riesen Bam-Bam und der Fee Viribunda vor und versetzte meine Kinderseele dadurch in Schwingungen, die bis heute noch nicht ganz abgeklungen sind. In einer seit langem verschwundenen, armseligen kleinen Häuslerküche geschah dieses Wunder, und seit jenem Tage gibt es für mich in der Welt keine andere Küche. Lese ich von einer Küche oder schreibe ich

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