Das Erbe der Apothekerin - Roman
Insgesamt hatte er sich in Konstanz gut eingelebt – sowohl in der Klosterapotheke als auch im Hause des Notars. Die Gegenwart Magdalenas, die er noch immer innig verehrte, war ihm eine tägliche Freude und fast schon Lohn genug für seine Arbeit.
Betz traf das Haus völlig leer an. Dass Magdalena noch nicht da war, war indes nicht verwunderlich, war sie doch in der Klosterapotheke immer noch mit der Zubereitung einer bestimmten Salbe beschäftigt, nach der auf einmal eine ungewöhnliche Nachfrage bestand und die ein Kunde gestern in auffallend großer Menge bestellt hatte.
Der Mann hatte ein wenig merkwürdig ausgesehen. Betz war sich nicht sicher, ob er – seiner protzigen Kleidung ungeachtet – wirklich als seriös einzustufen war. Ihm schien es eher so, als habe der etwa Fünfzigjährige das, was man landläufig ein »Galgenvogelgesicht« nannte … Die Jahre im Wirtshaus hatten Betz eine gute Menschenkenntnis gelehrt. Der Kunde hatte jedoch im Voraus bezahlt.
Angeblich hatten seine »Täubchen« Bedarf an dieser Salbe, welche – vorbeugend angewandt – Hautreizungen verhindern sollte, in Wahrheit jedoch eines der Mittel war, das Huren verwendeten, um eine Empfängnis unwahrscheinlich zu machen.
Magdalena kannte den Mann auch nicht, aber einer der Apothekergehilfen, ein Klosterbruder, der sich oft in seiner Eigenschaft als Seelenhirte in jenem Stadtviertel aufhielt, in dem die Armen und Ausgestoßenen in elenden Hütten und Verschlägen hausten und in dem auch Verbrecher Zuflucht suchten und die käufliche Liebe blühte, wusste genau über ihn Bescheid.
»Das war der Hurenwirt Hannes Schwertle. Der Kerl ist sehr vermögend. Und durch das Konzil wird er noch reicher werden, kann er doch jetzt eine große Schar von Hübschlerinnen ausbeuten. Nicht alle Weibsbilder, die von auswärts nach Konstanz geströmt sind, dürfen auf eigene Faust auf Kundenfang gehen. Einen großen Teil von ihnen hat Schwertle in seinem Bordell aufgenommen. Dafür muss er in den Stadtsäckel kräftig Steuern von dem eingenommenen Hurengeld einzahlen.«
Betz hatte genau gesehen, dass Lena errötete, als sie den Mönch so ungeniert reden hörte. Das Thema verletzte ohne Zweifel ihr weibliches Schamgefühl …
Um des Jungen willen wäre es ihr in der Tat lieber gewesen, der Frater hätte sich in seinen Äußerungen etwas mehr zurückgehalten. Vielleicht hatte sie auch Angst, das Gerede könnte ihn womöglich auf dumme Gedanken bringen: Er war schließlich erst vierzehn Jahre alt. Bei der Erinnerung daran musste Betz unwillkürlich grinsen. Auch im Bezug auf diese menschliche Eigenart hatte er bereits in seiner Kindheit in der Herberge seiner Eltern mehr mitbekommen als die behütete Magdalena wohl ahnen mochte.
Auch der Hausherr hatte sich noch nicht eingefunden, obwohl es zu dieser Jahreszeit draußen auf der Gasse längst dunkel war. Was Betz aber am meisten verwunderte: Sogar
Berta, die Haushälterin, glänzte durch Abwesenheit; in der Küche war es kalt und finster.
In diesem Augenblick hörte Betz die Abendglocke der Sankt-Stephans-Kirche schlagen und erschrak, nachdem er ihre Schläge mitgezählt hatte. Es war eine ganze Stunde früher, als er geglaubt hatte. Er überlegte gerade, ob er nicht doch noch an seinen Arbeitsplatz im Kloster zurückkehren sollte, da hörte er ein energisches Pochen am Haustor. Wer mochte das wohl sein? Rasch lief er ans Tor, um nachzusehen.
»Zum Teufel, warum dauert das denn so lange, bis man mir endlich aufmacht?«, fuhr ihn eine männliche Gestalt an, die Betz noch nie gesehen hatte und deren Stimme ihm völlig unbekannt war.
»Guten Abend, der Herr! Wer seid Ihr denn, wenn ich fragen darf?« Auch der Tonfall des Jungen war nicht gerade der allerfreundlichste.
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Rotznase! Zu deinem Herrn will ich. Und zwar schnell.«
»He, he! Immer langsam, ja? Ich kenne Euch nicht. Deshalb müsst Ihr auch vorerst draußen bleiben, wenn Ihr Euch weigert, mir Euren Namen zu nennen. Doktor Julius Zängle ist nicht daheim, und Fremde darf ich nicht ins Haus lassen.« Nach allem, was Betz schon erlebt hatte, ließ er sich nicht so leicht einschüchtern.
»Ist ja schon gut!«, knurrte der abendliche Überraschungsgast. »Meine Güte! Muss mein Verwandter ein Hasenfuß sein, dass er tatsächlich Angst hat, ein Bösewicht könnte die Beschaulichkeit seines trauten Heims stören!«, spöttelte er.
»Ach, Ihr seid verwandt mit Doktor Zängle? Das ist freilich etwas
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