Das Erbe der Apothekerin - Roman
hat er doch tatsächlich versucht, sie im Kloster einzusperren, damit er alle Freiheiten hat, über ihr übriges Erbe zu verfügen. Über ihr schönes Haus in Ravensburg zum Beispiel.«
»Ihr wisst aber gut Bescheid, Frau Berta«, wunderte sich Betz.
»Frau Lena und ich sind sehr gute Freundinnen«, erwiderte die Haushälterin kurz angebunden, und der Junge unterdrückte ein Grinsen. Er erinnerte sich noch gut jüngst vergangener Zeiten, zu denen das noch ganz anders gewesen war …
Die ältere Frau und der junge Bursche hingen einen Augenblick ihren Gedanken nach. Was mochte der Mensch bloß wollen? Betz kam eine erschreckende Idee:
»Er wird doch nicht etwa verlangen, dass Lena mit ihm nach Ravensburg zurückkehrt?«
Berta winkte ab. »Das würde Herr Julius niemals zulassen. Er ist Jurist und kennt sich mit den Gesetzen aus. Er wusste genau, was er tat, als er seiner Base Unterschlupf gewährte. Von einem kleinen Dreckapotheker – denn mehr ist der Scheitlin nie gewesen – lässt sich unser Herr nichts vorschreiben. Im Gegenteil! Dieser Erbschleicher kann sich
darauf gefasst machen, dass Doktor Zängle jetzt ganz andere Saiten aufzieht.«
Das hoffte der Junge von ganzem Herzen. Denn ohne sein großes Vorbild, seine innig verehrte Lena, käme er sich hilflos und verloren vor.
»Wenn man nur wüsste, was die beiden besprechen«, murmelte er bedrückt. Da hatte Berta eine Idee.
»Ich gehe einfach in die Stube und frage den Herrn ganz unbefangen, ob ich das Nachtmahl anrichten soll. Dann nütze ich die Gelegenheit und verweile ein bisschen im Zimmer, indem ich vorgebe, etliche Dinge geraderücken zu müssen. Möglich, dass ich dabei etwas aufschnappe.«
Betz’ Miene erhellte sich sichtlich. »Das ist sehr gut, liebe Frau Berta. Mich hat der Herr nämlich aus dem Zimmer geschickt. «
Als die ältere Frau kurz darauf in die Küche zurückkehrte, schüttelte sie den Kopf mit der feinen schwarzen Samthaube, die sie noch vom Kirchgang her aufhatte.
»Nein, zu essen soll ich nichts machen. Ihm sei der Appetit gründlich vergangen, hat Herr Julius gesagt. Das spricht doch Bände! Der Scheitlin wollte gleich protestieren – wahrscheinlich knurrt ihm der Magen. Aber unser Herr will ihn offenbar nicht bewirten. Das spricht dafür, dass sie sich bös in der Wolle haben, denn der Doktor ist normalerweise sehr freigiebig und lässt keinen hungrig von seinem Tisch aufstehen.«
»Recht so«, freute sich Betz. »Den Kerl auch noch füttern, das wäre das Letzte!«, brummte er, und Berta musste schmunzeln.
Dann fiel ihr etwas ein: »Wir müssen Acht geben, wenn Frau Lena nach Hause kommt. Nicht, dass sie mit ihrem Oheim zusammentrifft! Das fände ich gar nicht gut. Du solltest dich in der Nähe des Eingangs aufhalten, sie abfangen
und gleich zu mir in die Küche bringen. Ich werde trotzdem eine Kleinigkeit zu essen herrichten. Ewig wird dieser ungeliebte Vetter ja nicht bleiben, und ihr jungen Leute seid gewiss hungrig wie die Wölfe.«
Das hörte der halbwüchsige Lehrjunge gerne. In der Tat, als Heranwachsender hätte er zu jeder Tages- und Nachtzeit Unmengen vertilgen und trotzdem spindeldürr bleiben können. Obwohl er im Hause Zängle sowie bei den Franziskanern genug zu essen bekam, hatte er immerzu Appetit.
Sein Wachtposten in der Diele, den er sofort einnahm, hatte den Vorteil, dass er erneut sein Ohr ans Schlüsselloch der Wohnstubentür legen konnte; es genügte, die Haustür im Auge zu behalten. Er konnte Magdalena gar nicht verpassen.
Aber es wollte ihm einfach nicht gelingen, auch nur einen einzigen zusammenhängenden Satz zu verstehen. Das war ärgerlich. Aber viel schlimmer war die Tatsache, dass die junge Apothekerin nicht nach Hause kam. Als eine halbe Stunde vergangen war, kam Berta aus ihrer Küche zu ihm und nahm den halb verhungerten Betz mit sich.
»Es hat keinen Sinn, stundenlang im zugigen Hausflur zu warten, Junge. Wahrscheinlich haben die Fratres sie zu einem Kranken geschickt, um ihm seine Medizin zu bringen. Je nachdem, wo dieser Jemand wohnt, kann das noch eine Weile dauern. Komm mit in die Küche und iss etwas!«
»Aber es ist bereits stockdunkel!«, wandte der Junge zaghaft ein.
»Na und? Die Ordensbrüder geben ihr immer eine Begleitung mit, mach dir also keine Sorgen. Aber du kannst schon einmal mit dem Abendessen anfangen.«
Das ließ sich Betz nicht zweimal sagen.
Beide verharrten die nächste halbe Stunde nahezu schweigend in der verrußten Küche. Berta zupfte Kräuter, die
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