Das Erbe der Apothekerin - Roman
Tobsuchtsanfall und schwor bei allen Heiligen, Hus umgehend zu befreien – und wenn er selbst dessen Kerkertüre aufbrechen müsse …
Der allgemeinen Aufregung nach zu urteilen sowie der erneut einsetzenden Beflissenheit, alles noch prächtiger herauszuputzen, konnte jetzt der Zeitpunkt, zu dem der König seinen Einzug in die Konzilsstadt hielte, nicht mehr fern sein.
Auch Magdalena war unfähig, sich der beinahe fiebrigen Atmosphäre zu entziehen: Alles wartete auf Sigismund von Luxemburgs Ankunft in Konstanz.
Langsam vervollständigte sich auch die Teilnehmerzahl der zum Konzil Geladenen. Zehn Tage vor Weihnachten 1414 trafen die Vertreter der Pariser Universität Sorbonne ein, sowie das Gros der französischen Erzbischöfe und Bischöfe.
Und dann, endlich, genau am Heiligen Abend, kam der lang Ersehnte, begleitet von seiner schönen Gemahlin, Königin Barbara, seinem Schwiegervater Graf von Cilli, der Königin Elisabeth von Bosnien, dem Kurfürsten Ludwig von Sachsen und der Herzogin Anna von Württemberg.
Nicht nur die Konstanzer verrenkten sich schier die Hälse nach dem in Aachen frisch gesalbten Herrscher: Alle wollten den sechsundvierzigjährigen Monarchen, der als einer der schönsten Männer Europas galt, bei seinem Einzug sehen. Die Menschenmenge stand Kopf an Kopf, und besonders die Frauen seufzten sehnsüchtig bei seinem Anblick:
Dichtes blondes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar und ein ebensolcher Bart umrahmten ein schmales Gesicht mit leicht verträumt dreinblickenden Augen – manche nannten seinen Blick auch melancholisch –, einer langen, gebogenen Nase und einem Mund mit vollen roten Lippen, der beim Lächeln auffallend kleine weiße Zähne zeigte. Das Bild wurde durch die schlanke, hochgewachsene und doch breitschultrige Statur abgerundet, kurz: ein Mann zum Träumen.
Magdalena, die trotz des Festtages noch zu einigen Kranken in den Elendsvierteln unterwegs war, und auf ihrem Weg in den Menschenauflauf hineingeriet, stockte fast der Atem, als der König so nah an ihr vorbeiritt, dass sie den Saum seines Mantels hätte berühren können.
Das zweite Spektakel des Tages bestand in der großen Abendmesse im Münster, zu der die Konzilsteilnehmer sowie das königliche Paar erwartet wurden. Die Menschen standen Spalier, viele klatschten Beifall oder schrien laut: »Vivat Rex!« und »Hoch lebe König Sigismund!« sowie »Vivat Regina!«
Barbara von Steiermark, eine berühmte Schönheit, galt als ebenso untreu wie ihr attraktiver Gemahl es war. Dieser dachte jedoch gar nicht daran, sie zu verstoßen. Von Kirchenmännern auf sein diesbezügliches Recht hingewiesen, sagte er angeblich: »Wer anderen Hörner aufsetzt, muss auch bereit sein, selbst gehörnt zu werden.«
Dass die hohe Dame allerdings eine Ungläubige war, die sich in kleinem Kreise über das Christentum lustig machte, das Leben nach dem Tod einen »dummen Traum« nannte und sich über Geschichten von fastenden und büßenden Jungfrauen bloß amüsierte – davon wussten nur wenige. Und diejenigen, die es wussten, verbreiteten ihr Wissen nur hinter vorgehaltener Hand. In den Klöstern war es allerdings ein offenes Geheimnis.
Die illustren Gäste erschienen hoch zu Pferde, um gut gesehen zu werden – und um gehörigen Abstand vom Pöbel zu bewahren. Außerdem vermochte auf diese Weise ein jeder mit seinem Reittier aus edler Zucht anzugeben; alle hatten ihre Knechte angewiesen, dieses Mal auf den Schmuck der Gäule besondere Sorgfalt zu verwenden.
Das Zaumzeug aus vergoldetem Silber blinkte im Fackelschein, und so manche mit Goldfäden bestickte, seidene Satteldecke hatte mehr gekostet als etwa ein Schuster samt Familie an Jahreseinkommen erreichte.
Magdalena, die einen Arm um die magere Schulter Mariechens gelegt hatte, stand mit Berta und Betz zusammen auf dem Münsterplatz, um die Ankunft des Königs abzuwarten. Dabei fiel ihr wieder einmal auf, wie kleinwüchsig Mariechen war. Armselige Lebensumstände, Mangel an Nahrung und ein Zuviel an körperlicher Arbeit bewirkten, dass das Mädchen in seiner körperlichen Entwicklung zurückgeblieben war. Zum Glück traf dies auf ihre geistigen Fähigkeiten nicht zu. Magdalena erschien die Korbflechtertochter vielmehr weit über ihre Jahre hinaus gereift. Was der jungen Frau allerdings zu denken gab, war die beständige Melancholie des Mädchens. Selbst wenn sie lachte, stand eine seltsame Traurigkeit in ihren Augen. Sorgen machte der Apothekerin auch das ständige
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