Das Erbe der Apothekerin - Roman
Hüsteln der Kleinen, das allen Arzneien standhielt.
Mariechen hatte darum gebettelt, mit Magdalena zu dem Ereignis am heutigen Weihnachtsabend gehen zu dürfen. Die übrige Familie war erkältet und blieb zu Hause – mit Ausnahme von ihrem Bruder Klaus, der sich weiß Gott wo herumtrieb.
Der schier endlose Zug der Noblen, der hohen Geistlichkeit sowie der Ratsherren der Stadt war mittlerweile in den ehrwürdigen Mauern des Münsters verschwunden. Die Pferde der Herrschaften wurden von Knechten am Zügel gehalten und draußen herumgeführt, damit sie sich nicht erkälteten, bis diese ganz besondere Messe vorüber war. Den freien Platz im hinteren Teil der Kirche durften jetzt die einfachen Bürger und – in der Nähe des Eingangsportals – sogar
ein paar der Stadtarmen einnehmen, während die Edlen vorne, in der Nähe des Altars, auf gepolsterten Stühlen saßen.
Magdalena, die Ausschau nach ihrem Vetter hielt, konnte ihn inmitten der Stadtväter erkennen, neben Dominikus Läpple und Simon Dammert. Ganz in der Nähe entdeckte sie zu ihrem Erstaunen auch Hannes Schwertle, den Hurenwirt von Konstanz.
»Geld stinkt bekanntlich nicht«, dachte sie ironisch, »auch nicht in Konstanz.«
Ganz vorne, unmittelbar beim Hochaltar, zur Rechten des Heiligen Vaters, saßen König Sigismund und die beiden Königinnen – eine davon war seine Gemahlin Barbara, die andere Elisabeth von Bosnien.
Die Weihnachtsliturgie zog sich stundenlang hin, und Magdalena verfiel ins Träumen. Ihr kurzes Leben überdachte sie und war nicht zum ersten Male erstaunt über die Fülle der Ereignisse, die es ihr bereits beschert hatte. Vor ihrem geistigen Auge tauchte als Erster ihr geliebter Vater auf; geschwind sprach sie leise ein Gebet für seine arme Seele, die sich hoffentlich bereits im Himmel befand. Auch die Mutter, an die sie nahezu keine Erinnerung mehr hatte, schloss sie in ihre Fürbitten ein. Als Nächster erschien ihr unweigerlich Konrad, der untreue Bräutigam, dem es wohl an Liebe und Vertrauen zu ihr gemangelt hatte. Doch alle Enttäuschung und alle Wut waren nun einmal vergebens – was geschehen war, konnte Magdalena nicht mehr rückgängig machen.
Voll Wehmut stieg das Bild jenes stillen Klosterfriedhofes in den Bergen aus den Tiefen ihrer Erinnerung empor, jener Ort, wo ihr unschuldiges Kind an der Seite von Rolf Reichle und Utz, dem treuen Knecht, ruhte. Die Mörder sollten ihrer gerechten Strafe nicht entgehen, schwor sie sich erneut.
Mochten die Geistlichen ruhig von der christlichen Pflicht zur Vergebung reden, sie würde niemals vergessen! Die Untat an ihr und den anderen durfte nicht ungesühnt bleiben.
Der Gedanke an Rolf ließ ihr die Augen feucht werden. Am Ende der Reise hätten sie bestimmt zusammengefunden, davon war Magdalena mittlerweile überzeugt. Ihrem Sohn wäre er ein guter Vater gewesen und sie selbst hätte er mit der Zeit Konrad vergessen lassen.
Hastig wischte sie die Tränen weg. Das Fest von Christi Geburt war schließlich kein Trauertag.
Auch für ihren Vetter Julius murmelte sie ein inniges Gebet; er brauchte viel Kraft in seinem schweren Amt. Danach versuchte sie wieder, der feierlichen Messe zu folgen, die Otto von Hachberg zusammen mit zwei anderen Bischöfen zelebrierte.
Ein rascher Blick nach vorne zeigte ihr, dass der Heilige Vater fortwährend auf seine im Schoß gefalteten Hände starrte und dabei keine Miene verzog, während König Sigismund sichtlich mit dem Schlaf kämpfte. Die holde Frau Barbara saß da wie eine Marmorstatue. Magdalena unterdrückte ein Gähnen und verlagerte das Gewicht ihres Körpers auf das linke Bein. Das lange Stehen in der kalten Kirche strengte sie zunehmend an. Auch die anderen Kirchgänger wurden allmählich unruhig. Leider war das Münster so voll, dass ein Herumschlendern von Seitenkapelle zu Seitenkapelle nicht möglich war.
Aus noch einem anderen Grund lag über diesem Weihnachtsabend für Magdalena ein dunkler Schatten. Vor einigen Tagen hatte ein Bote aus Ravensburg die Nachricht vom Ableben ihrer Großmutter Elise Scheitlin überbracht. Margret, ihre Schwiegertochter, hatte die Botschaft veranlasst – ihr Ehemann Mauritz hätte keinen Finger gerührt.
»Froh wird er sein, dieses Ungeheuer! Er hat seine Mutter nie wirklich geliebt – so wie er überhaupt keinen anderen Menschen von Herzen gern hat, außer sich selbst«, dachte die junge Frau verbittert. Mochte sie deswegen ruhig eine schlechte Christin sein – mit ihrer Apotheke wünschte sie
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