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Das Erbe der Apothekerin - Roman

Das Erbe der Apothekerin - Roman

Titel: Das Erbe der Apothekerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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ihm jedenfalls kein Glück!
    Doch ihre stets unerschrockene Großmutter hatte es fürwahr verdient, bei den Engeln zu sitzen. Magdalena wurde schlagartig bewusst, dass sie nun außer Julius und Gertrude keine Verwandtschaft mehr besaß – zumindest keine, auf die sie zählen konnte, denn die verschüchterte Margret, die sie zudem kaum kannte, bedurfte wohl eher selbst der Hilfe.
    Sie fühlte sich beobachtet, und ein rascher Seitenblick zeigte ihr, dass Mariechen sie erstaunt betrachtete. Um das Kind nicht noch mehr zu verunsichern, zwang Magdalena sich zu einem Lächeln, das die Kleine schüchtern erwiderte.
    Mittlerweile war die Luft im Münster zum Schneiden. Der Duft verbrennenden Weihrauchs, der Geruch schmelzenden Kerzenwachses und das Odeur kostbarer Parfüme erfüllten den riesigen Raum, aber ebenso der penetrante Gestank menschlicher Ausdünstungen, nicht gewaschener und ungenügend gelüfteter Kleidung.
    Jubelnder Gesang und Posaunenklänge brandeten auf einmal auf im weiten, hoch gewölbten Kirchenschiff. Das bedeutete, dass die Messe sich dem Ende zuneigte. Wie gerädert erhoben sich die noblen Teilnehmer von ihren Stühlen. Sie wirkten auf einmal alle wieder munter.
    Rasch leerte sich das Gotteshaus. Selbst die neugierigsten Gaffer hatten es jetzt eilig, in ihr mehr oder weniger warmes Zuhause oder in ein Gasthaus zu Speis’ und Trank zu gelangen.
    König Sigismund und sein intimster Kreis wandten sich zu
ihrem Quartier im Haus Zur Leiter bei der Kirche Sankt Stephan. Magdalena und Mariechen warteten auf dem Münsterplatz auf Berta. Die ältere Frau war nicht mehr so flink; man hatte sie beim Verlassen der Kirche abgedrängt, nur Betz war standhaft an ihrer Seite geblieben.
    »Man muss ein wachsames Auge haben auf Taschendiebe.« Er lachte. »Zusammen mit Dirnen und Gauklern bilden sie ein ganzes Heer.«
    »Da hast du Recht, mein Junge«, gab die Haushälterin zur Antwort und fasste prüfend in ihre Rocktasche. »Bettlern gebe ich gerne ein Almosen, für gemeine Diebe habe ich jedoch keinen Pfennig übrig.«
    Mariechen ging mit ihnen, um das weihnachtliche Festessen zu genießen, das Berta noch vor dem Kirchgang weitgehend vorbereitet hatte. Anschließend würde das Mädchen, da es schon sehr spät war, im Gemach der Apothekerin auf einem Strohsack nächtigen.
     
    Das Gefolge all dieser illustren Gäste war erwartungsgemäß zahlreich, und es war kein Wunder, dass Julius Zängle nicht nur sein eigenes Bett in den nächsten Tagen überhaupt nicht mehr sah, sondern dass der ohnehin recht schmale Jurist zusätzlich einige Pfunde an Gewicht verlor und die Anzahl seiner grauen Haare sprunghaft anstieg. Das Weihnachtsfest im Hause Zängle beschränkte sich weitgehend auf besagtes Mahl in der Heiligen Nacht und ein opulentes Mittagessen am ersten Feiertag. Danach brach Zängle schon wieder auf und ward für längere Zeit nicht mehr gesehen. Magdalena, die ohnehin Angst davor hatte, in Gedenken an vergangene Weihnachtsfeiern unnötig rührselig zu werden, war beinahe froh über die hektische Betriebsamkeit, die den Rest des Jahres geschwind verfliegen ließ.

KAPITEL 32
    DER EINGEKERKERTE JAN Hus erwartete sich voll banger Ungeduld alles von der Ankunft des Herrschers – sollte der König doch sein Versprechen in die Waagschale werfen, damit man ihn wieder freiließe.
    Und noch einer versprach sich viel vom Erscheinen Sigismunds: Seine Heiligkeit, Johannes XXIII. Der eiskalte Wind, der ihm täglich unangenehmer ins Gesicht blies, vermehrte seine Verdrießlichkeit. Die Freunde dieses verfluchten Kardinals d’Ailly sowie die Anhänger seiner beiden Gegenpäpste setzten ihm immer mehr zu. Er bedurfte dringend königlicher Rückendeckung.
    Der Papst fühlte sich schlecht wie nie; er stellte sich zum wiederholten Male die Frage, warum er so dumm gewesen war, sich von Sigismund vor einen Karren spannen zu lassen, dessen Räder mittlerweile so festgefahren waren, dass er sich ernsthaft überlegte, ob es nicht besser für ihn sei, einfach heimlich aus Konstanz zu verschwinden.
    Diese Überlegungen teilte er nicht nur seinem Sekretär und Vertrauten Don Severino sondern auch Magdalena mit. Beinahe täglich musste die Apothekerin den Weg ins Palais Hachberg antreten, um sich die endlosen Lamenti Baldassare Cossas anzuhören.
    Was seinen Gesundheitszustand anging, log er nicht einmal: Sein Magen war tatsächlich nicht in Ordnung. Er litt häufig an Koliken und Übelkeit, die zu Erbrechen und Appetitlosigkeit führten.

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