Das Erbe der Apothekerin - Roman
eindeutig nicht zu seinem Aufgabenbereich gehörte, aufzuhalten. Von gemeinsamen Spaziergängen ganz abgesehen …
Die junge Frau mochte Bruder Johannes sehr – hatte der Frater ihr doch nach ihrem schweren Schicksalsschlag wieder herausgeholfen aus dem Tal der Tränen. Dennoch war sie fast schon erleichtert darüber, mit dem attraktiven Franziskaner nahezu keinen Kontakt mehr zu haben.
Zu gefährlich könnte er ihr werden mit seinen Glutaugen
und der sanften Stimme … Und das wäre eine Katastrophe! Nein, sie wollte nicht die Schuld daran tragen, dass er seinen Gelübden untreu würde. An eine gemeinsame Zukunft war ohnehin nicht zu denken: Als Liebespaar wären sie Ausgestoßene und müssten aus der Stadt fliehen – und was sollte dann aus ihnen werden? Zwar war es nicht selten, dass Geistliche eine Geliebte hatten, doch offiziell wurde dies keineswegs geduldet – und eine Möglichkeit der Legitimierung einer derartigen Beziehung gab es erst recht nicht.
Zudem ahnte Magdalena, dass der Mönch, sobald der erste Liebesrausch verflogen wäre, voll Ernüchterung ihr die Schuld daran gäbe, dass er sein Gelübde gebrochen hätte. Womöglich würde er sie dann als Verführerin hassen … Von solch unglücklich endenden Liebesgeschichten hatte sie nicht nur eine gehört. Und nicht zuletzt war Magdalena noch lange nicht bereit, sich wieder auf einen Mann einzulassen. Im Augenblick war ihr Leben auch so schon aufregend genug – und Konrad geisterte weiterhin durch ihre Träume, auch wenn sie sich dies nie eingestanden hätte.
Die Causa Jan Hus nahm indes ihren schrecklichen Fortgang: Zum Eklat kam es, als die These des Magisters verlesen wurde, wonach ein Papst, Bischof oder Prälat, der in Todsünde lebe, kein Papst, Bischof oder Prälat sei.
Der König wurde sofort herbeigeholt, denn Hus sollte dies auf der Stelle widerrufen. Der Böhme sah Sigismund jedoch unerschrocken in die Augen und sagte: »Auch ein König, der in Todsünde lebt, ist vor Gott kein König.«
In dem Saal, in dem normalerweise ständig ein gewisser Lärmpegel herrschte, breitete sich lähmende Stille aus. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Der Herrscher zuckte
mit keiner Wimper, aber er und alle anderen hatten die Anspielung genau verstanden.
Es war kein Geheimnis, dass Sigismund und Königin Barbara keine besonders glückliche Ehe, die überdies kinderlos geblieben war, führten. Der König betrog seine Gemahlin ständig – so wie sie ihn. Zudem war er ein notorischer Bordellbesucher. Weil die jeweiligen Stadtväter das wussten, schenkten sie für gewöhnlich dem Monarchen, wenn sie ihn günstig stimmen wollten, einen oder gar mehrere Tage in besonders ausgewählten Hurenhäusern, wo ausnehmend hübsche Venusdienerinnen seine Wünsche erfüllten.
Auch die heilige Konzilsstadt Konstanz machte dabei keine Ausnahme: Insgesamt drei Tage – und Nächte – spendierten die Räte der Stadt Sigismund und seinen Begleitern. Hannes Schwertle, der Hurenwirt, erwarb sich dabei nachweislich das ganz besondere Wohlwollen des Herrschers …
Dass Hus ausgerechnet darauf anspielte – vor Zeugen und in einem Kloster noch dazu –, das ging entschieden zu weit. Aber Sigismund war ein aalglatter Diplomat und ließ sich nichts anmerken.
»Johannes Hus! Lasst Euch gesagt sein: Kein Mensch lebt ohne Sünde.«
Des Herrschers Stimme klang emotionslos, und der Blick seiner blauen Augen war eisig. Es gelang ihm in diesem heiklen Augenblick, die Würde eines Monarchen zu wahren. Aber insgeheim war vermutlich die Entscheidung gefallen: Hus würde ins Feuer gehen.
Die Entwicklung des Prozesses ging Magdalena näher als sie es erwartet hätte. Doch die regelmäßigen Besuche bei dem kranken, doch innerlich unbeugsamen Reformator, der sich standhaft weigerte, seine Thesen zu widerrufen, beeindruckten
sie – und nahmen sie für Hus ein, auch wenn sie nicht ganz begreifen konnte, warum er für seinen Starrsinn bereit war, sein Leben zu opfern.
Es nahte der letzte Akt dieses Dramas, mit großem Pomp inszeniert, um alle Beteiligten und vor allem die Zuschauer zu beeindrucken. Als Bühne wählte man das Münster, das bis auf den letzten Platz besetzt war. Sigismund saß in vollem Ornat auf einem Thronsessel, neben sich den Pfalzgrafen mit dem Reichsapfel, Friedrich von Hohenzollern mit dem königlichen Zepter, den bayerischen Herzog mit der Krone und einen ungarischen Magnaten mit dem Reichsschwert.
Das Schlussurteil verlas der Bischof von Concordia.
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