Das Erbe der Apothekerin - Roman
Vater hatte ihr von im Ausland versuchten Eingriffen berichtet; die allermeisten waren schiefgegangen. Die Operierten bekamen hohes Fieber, fielen ins Delirium und starben unter großen Qualen.
»Herrgott! Bei so vielen Leiden hast du uns Erleuchtung geschenkt, wie sie zu kurieren sind! Weshalb gibst du
uns nicht endlich das Wissen, wie wir operieren können – ohne die Kranken umzubringen?« Diese bittere Frage schoss Magdalena durch den Kopf, während sie dem Sterbenden sanft ein wenig Mohnsaft einflößte und seine Hand hielt, bis diese langsam kalt wurde und schließlich aus ihrer glitt.
Auf dem Heimweg weinte Magdalena.
KAPITEL 36
HUSSENS ERSTES GROSSES Verhör fand am 5. Juni 1415 statt – im Franziskanerkloster, in das er verlegt worden war und in dem er mittlerweile eine verriegelte Mönchszelle bewohnte. Der Theologe schien durch die sechsmonatige strenge Gefangenschaft, die karge Nahrung und das zeitweilige Anketten geistig keineswegs gebrochen – nur sein Gesundheitszustand war nach wie vor schlecht, obwohl sich hin und wieder ein Medicus seiner angenommen hatte.
Eigentlich wollte man sofort über ihn zu Gericht sitzen. Aber sein Schutzherr, Baron von Chlum, setzte es durch, dass der König zugestand, den Magister erst einmal anzuhören. Das war keineswegs selbstverständlich – genauso wenig wie ein Verteidiger. Zudem wurde die Sitte, persönliche Feinde eines Beschuldigten nicht als Zeugen zuzulassen, ständig unterlaufen. Das Ärgste war, wie Magdalenas Vetter kopfschüttelnd monierte, dass eine Gruppe von Prälaten, die vermutlich noch nie eine Zeile von Wyclif oder Hus gelesen hatten, durch wüste Zwischenrufe der Vernehmung Sinn und Würde raubten.
Als Julius Zängle sich während der Mittagspause kurz mit Magdalena traf, verlieh er seinem Erstaunen Ausdruck, dass er bisher eigentlich geglaubt habe, die Teilnehmer einer Gerichtsverhandlung würden eine gewisse Disziplin wahren.
Beim nächsten Verhör am Nachmittag desselben Tages war auch der König – in theologischen Fragen keineswegs ungeschult – anwesend. Das hatte zumindest den Vorteil, dass die aufgehetzte Meute sich einigermaßen zügelte. Das Verhör blieb allerdings weitgehend in endlosen Debatten über die Auslegung bestimmter Lehrsätze stecken. Für Hus wurde es erst gefährlich, als man ihm nachweisen wollte, er sei keineswegs freiwillig nach Konstanz gekommen.
Dem widersprach der Reformator heftig:
»Ich bin sehr wohl aus freien Stücken gekommen! Hätte ich nicht kommen wollen, so gibt es viele mächtige Herren in Böhmen, in deren Burgen ich mich hätte verbergen können. «
Chlum in seiner Unbedachtheit bestätigte das aufs Lebhafteste: »Viele große Herren mit mächtigen Trutzburgen hätten Jan Hus in Schutz genommen – auch gegen den Willen der Könige Sigismund und Wenzel!«
Das roch nun allzu sehr nach Insubordination und Aufruhr. Spätestens in diesem Augenblick stand das Schicksal des frommen Magisters aus Prag mehr oder weniger auf Messers Schneide.
Sigismund seinerseits betonte, einem Ketzer habe er freilich kein freies Geleit zusichern dürfen und einen Häretiker wolle er auch nicht verteidigen. Hus reagierte geistesgegenwärtig.
»Erlauchter Fürst! Ihr wisst, dass ich aus freiem Willen hierher kam. Und nicht etwa, um verstockt auf meinen Thesen
zu beharren, sondern um mich belehren zu lassen und mich dann zu korrigieren, falls ich mich vielleicht geirrt haben sollte.«
Am 7. und 8. Juni setzte man die wenig ergiebigen Verhöre fort. Danach wurde der Gefangene jedes Mal in seine Zelle zurückgebracht, wo bereits die heilkundige Magdalena mit einer Arznei gegen sein Gallensteinleiden bereit stand. Sie verabreichte ihm Auszüge aus Mariendistel, Schafgarbe und Löwenzahn sowie einen Saft aus Benediktenkraut und Roter Bete.
Bei diesen Gelegenheiten konnte Magdalena auch endlich wieder einmal ein längeres Gespräch mit Bruder Johannes führen. Der junge Mönch und Medicus, ein aufmerksamer Beobachter des Konzils, litt nicht nur unter großem Heimweh nach seinem Konvent in den welschen Bergen, sondern auch an der Unmöglichkeit, mit »Donna Maddalena« Unterhaltungen zu führen, wann immer er wolle.
Mit Wehmut gedachte der Franziskanermönch der wundervollen Wanderungen in den Bergen, die er einst mit der jungen Frau unternommen hatte.
Ihr war es nicht möglich, ihn im Kloster in seiner Zelle aufzusuchen, und er sah keine Chance, sich, ohne Verdacht zu erregen, längere Zeit in der Apotheke, die
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