Das Erbe der Apothekerin - Roman
es immer, sich keinesfalls die Missgunst von Ärzten, Chirurgen und anderen Heilern zuzuziehen – wie leicht zog sie sonst die Gefahr der üblen Nachrede auf sich,
mit all ihren Konsequenzen, bis hin zu einer Anklage wegen Hexerei. Nicht selten lehnte sie daher heikle Behandlungen ab, indem sie vorgab, dafür nicht genügend ausgebildet zu sein. Denn manche Leiden durfte sie den strengen Regeln der Zunft entsprechend überhaupt nicht kurieren. Alles, was etwa mit Schneiden oder Einrenken zu tun hatte, war Aufgabe von Chirurgen oder Badern – einer Gruppe von Heilern, die ihre Pfründen mit Zähnen und Klauen zu verteidigen pflegten.
Nur in Ausnahmefällen verstieß sie dagegen, wenn zum Beispiel unverzügliches Handeln vonnöten war und sie damit dem Betreffenden weiteres Leiden ersparte. Allerdings war sie sich dabei immer bewusst, wie groß die Gefahr war, mit einem Bein bereits im Kerker zu stehen …
Magdalena hoffte inständig, dass der heutige Fall sich nicht als einer von denen entpuppte, der ihre zunftrechtlichen Kompetenzen überschritt. Aber da das Geschwür des Kardinals offenbar bereits von selbst aufgegangen war, musste sie aller Voraussicht nach nicht zum Messer greifen.
Außerdem hatte ja Frater Gregor, der verantwortliche Medicus und Apotheker des Franziskanerklosters, sie persönlich zu diesem Patienten geschickt. Demnach trug er auch die Verantwortung.
KAPITEL 45
ENDLICH HATTEN SIE ihren Zielort erreicht, ein imposantes herrschaftliches Gehöft mitten auf einer Lichtung im jetzt nahezu kahlen Buchenwald, etwa auf der Höhe von Litzelstetten. Der gepflasterte Weg, der zum Eingang des im unteren
Stockwerk gemauerten, im oberen Teil in Fachwerk errichteten Wohnhauses führte, wurde auf beiden Seiten durch Pechfackeln erleuchtet, die in den Erdboden gerammt waren. Etliche Knechte und Diener machten sich noch im Hof zu schaffen.
Offenbar hatte man bereits nach ihnen Ausschau gehalten. Einer der Burschen lief herbei, um Ser Ernestos Gaul in Verwahrung zu nehmen, nachdem dieser Magdalena galant vom Pferd gehoben hatte.
»Reib ihn ja gut trocken, Enrico!«, befahl er dem Knecht. »Und dann gib ihm noch ein paar Hand voll Hafer. Der Gaul hat’s verdient.«
Er tätschelte den Hals seines Pferdes, ehe er den am Sattelknopf festgezurrten Weidenkorb löste und ihn der jungen Frau reichte. Ein Wink galt dem jungen Burschen, und der führte das Tier zu den neben dem Wohnhaus befindlichen Stallungen.
»Die Leute wirken so seltsam aufgeregt«, stellte die Apothekerin verwundert fest. »Die Betriebsamkeit, die hier auf dem Gutshof herrscht, scheint mir zu dieser vorgerückten Stunde recht ungewöhnlich. Normalerweise ist um die Zeit des abendlichen Gebetsläutens bereits überall Ruhe eingekehrt. «
»Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen«, murmelte der Sekretär. »Wollt Ihr mir nun bitte folgen, Donna Maddalena? «
Was Magdalena kurz darauf in einem der Schlafzimmer des vornehm und bequem zugleich eingerichteten Hauses, das eher einem Schloss denn einem großbäuerlichen Anwesen glich, entdeckte, schockierte sie so, dass sie sich setzen musste. Sie rang nach Worten.
»Gott im Himmel! Was ist nur mit diesen armen Menschen passiert?«, fragte sie schließlich fassungslos.
Auf dem breiten Prunkbett unter einem scharlachroten Baldachin lagen nebeneinander zwei leichenblasse Männer, beide etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt. Sie waren nahezu identisch gekleidet, mit schwarzen seidenen Kniehosen und ehemals weißen Hemden mit Spitzen an Kragen und Manschetten.
Was ihren Anblick so befremdlich machte, war die Tatsache, dass sowohl Hemden wie Hosen der beiden zerrissen und mit Blut getränkt waren. Blutverschmiert zeigten sich auch ihre Gesichter, die schulterlangen Haare, die Hände und selbst Brust und Beine schienen aus zahlreichen klaffenden Wunden Ströme von Blut verloren zu haben.
Die Matratze jedenfalls, auf die man die Verletzten gebettet hatte, war getränkt mit dem roten Lebenssaft. In der abgestandenen Luft im Raum dominierte penetrant ein kupfriger Geruch.
»Wer ist das überhaupt?«, fragte Magdalena schaudernd und unterdrückte ein Würgen.
»Der linke Herr ist Seine Eminenz, Kardinal Sabattini«, erklärte im Hintergrund ein Diener, den die junge Frau erst jetzt bemerkte. »Und der daneben ist sein Rivale, Don Federigo Hidalgo, Domherr aus Salamanca.«
»Sein Rivale? Wie ist denn das zu verstehen? Dass auf dem Konzil erbitterte Meinungskämpfe ausgetragen werden,
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