Das Erbe der Apothekerin - Roman
Magdalena den Innenhof des stattlichen Anwesens, wo trotz der vorgerückten Zeit immer noch lebhaftes Getümmel herrschte. Sie mochte jetzt erst recht niemandem in die Augen sehen. Ihr war, als könne ihr jedermann die »Schande«
ansehen, als unverheiratete Frau ein Kind in sich zu tragen, das keinen Vater hatte. Zudem flossen ihr die Tränen über das Gesicht, die sie vor dem alten Grießhaber noch mühsam zurückgehalten hatte.
KAPITEL 6
DRAUSSEN IN DEN Gassen war es zu dieser Abendstunde bereits recht still. Verzweifelt überlegte Magdalena, was sie jetzt tun sollte. Automatisch schlugen ihre Füße den Weg zu ihrem Vaterhaus ein. Sicher, der Oheim hatte gedroht, sie an die Klosterknechte zu verraten, die mit Sicherheit hinter ihr her waren und nicht lange bräuchten, um sie in Ravensburg aufzuspüren. Muhme Margret könnte ihn vielleicht so weit bringen, dass er sie stillschweigend unter seinem Dach duldete, bis sie eine andere Bleibe aufgetan hatte.
Doch das war eher unwahrscheinlich, musste Magdalena sich nach kurzem Nachdenken selbst eingestehen. Die gute, aber etwas unbedarfte Frau hatte gewiss zu viel Angst vor ihrem auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschreckenden Gatten … Magdalena erinnerte sich noch gut an einen abscheulichen Vorfall vor zehn Jahren.
Es war auf einem Familienfest gewesen, das die damals noch rüstige Großmutter Elise ausrichtete. So war auch Mauritz mit seinem Weib Margret, damals hochschwanger, von Altdorf herübergekommen. Aus nichtigem Anlass geriet der Oheim außer sich und verpasste seiner Frau einen Schlag ins Gesicht, der sie vom Stuhl warf. Kurz darauf hatte sie das Kind verloren. Elise hatte ihren ältesten Sohn nach dem Eklat sofort des Hauses verwiesen.
Richtig, ihre energische und kluge Großmutter war ja auch noch da! Zwar war sie alt und auch nicht mehr die Gesündeste, aber sicher wusste sie Rat für ihre Enkelin. Auf den letzten Metern vor ihrem Vaterhaus trug Magdalena den Kopf bereits wieder ein klein wenig höher. Allein der Gedanke an die beherzte alte Frau, die den Unbilden des Lebens stets mit einem gewissen Trotz entgegengetreten war, munterte sie auf.
»Oh, mein Gott! Du wagst dich tatsächlich wieder her zu uns?« Margret rang die Hände. »Komm schnell mit mir in die Webstube hinauf. Da geht Mauritz so gut wie niemals hin; für Weiberkram hat er nichts übrig, weißt du. Aber dass du so mutig bist und noch einmal kommst, hätte ich nicht gedacht! «, sprudelte es aus ihr heraus, während die Mitte Vierzigjährige vor ihrer angeheirateten Nichte her trippelte.
Kaum hatten sich beide Frauen in besagtem Raum im ersten Stockwerk niedergelassen, als die Tante einen Seufzer der Erleichterung ausstieß.
»Zum Glück hat uns keiner gesehen, der dich verraten könnte, Kind! Mindestens einer aus der Dienerschaft ist auf seiner Seite und hinterbringt ihm alles«, setzte sie zu einer Erklärung an.
»Mauritz ist im Augenblick in der Trinkstube der Großen Handelsgesellschaft von Ravensburg. Weil sich dort alle einflussreichen Kaufleute treffen, geht auch er jeden zweiten Abend da hin. An den anderen Abenden begibt er sich in den ›Esel‹, die zweitwichtigste Vereinigung der Kaufmannsgilde. Aber es ist bald ganz dunkel, und da kommt er für gewöhnlich vorher noch heim – weil er zu geizig ist, sich eine Fackel zu leisten. Um ein Haar wärst du auf der Gasse mit ihm zusammengetroffen. Nicht auszudenken!«
»Aber, ich bitte Euch, liebste Muhme! Was soll er mir
denn schon ernstlich antun? Muss ich mich wirklich vor meinem eigenen Verwandten fürchten?«
»Besser, du bist auf alles gefasst, Liebchen. Mein Gatte ist nicht nur verlogen und hinterhältig, sondern auch brutal. Ich kann ein Lied davon singen!«
Unwillkürlich hatte Magdalena bei diesen Worten, die bei beiden Frauen ungute Erinnerungen wachriefen, ihre Hände wie schützend auf ihren Leib gelegt. Margret war die unbewusste Geste nicht entgangen.
»Oh, liebe heilige Mutter!«, ächzte sie. »Auch das noch! Wann ist das denn passiert? Doch nicht etwa im Kloster?«
»Nein! Nein! Das Kleine ist von Konrad, der in der letzten Nacht, ehe ich nach Sankt Marien gefahren bin, bei mir lag. Er war doch mein Verlobter, und da dachten wir …«
»Was alle einander versprochenen Paare denken«, vervollständigte Margret den Satz. »Du armes, armes Ding! Und jetzt musst du erfahren, dass dein Bräutigam eine andere zur Ehefrau genommen hat und dein Kindchen ohne Vater aufwachsen wird. Ach, was für
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