Das Erbe der Apothekerin - Roman
aufzutreten.
Im hellen Lampenschein erkannte sie einen hohen Schrank mit kunstvollen Intarsien im Türblatt und einer filigranen Ornamentik im Abschluss. Das Eichenholz, aus dem
er gefertigt war, schimmerte beinahe so schwarz wie Ebenholz. Im Vorbeigehen entdeckte das junge Mädchen einen großen Kamin, in dem auf einem eisernen Feuerbock ein mächtiges Stück Baumstamm darauf wartete, entzündet zu werden.
Dann fuhr sie ängstlich zusammen, aber gleich darauf musste sie lachen: Eine Ritterrüstung war es, die sie erschreckt hatte …
»Sie gehörte einem Vorfahren meines verstorbenen Mannes«, erklärte Gertrude, die den Vorfall mit einem leisen Lächeln beobachtet hatte. »Mit dem Schwert, das der Ritter in der Hand hält, hat dieser Ahnherr in einem Kreuzzug gegen die ungläubigen Türken gekämpft.«
»Oh!« Magdalena wandte sich um und warf erneut einen Blick darauf, vor allem auf die Blutrinne der tödlichen Waffe. Unwillkürlich fröstelte sie … Gleich darauf wunderte sie sich, dass die Muhme nicht die Treppe erklomm und auch im Erdgeschoss keines der zahlreichen Gemächer betrat, sondern das Gebäude durchquerte und dieses durch einen Hinterausgang wieder verließ.
»Du bist erstaunt, nicht wahr?«, stellte die Heilerin fest und schmunzelte. »Aber ich bewohne das große Haus schon längst nicht mehr. Seitdem ich keine Feste mehr gebe und keine hohen Gäste mehr empfange, genügt mir ein bescheideneres Domizil.«
Da das große Haus an einen Hang gebaut worden war, verließen sie es auf der Rückseite ebenerdig, und erst nach einer kleinen Strecke stieg ein mit Kieselsteinen ausgelegter Pfad ziemlich steil an. Er führte durch einen verwilderten Obstgarten, wie Magdalena im Schein einiger Laternen, die in den Zweigen hingen, erkennen konnte. Schließlich standen sie vor Gertrudes Heim …
»Aber das ist doch nur ein kleines Häuschen«, entfuhr es Magdalena.
»Jawohl, mein Kind! Ein windschiefes, winziges Ding ist es, worin ich mich am wohlsten fühle. Ich habe es zusammen mit meinem Sohn und einem Knecht selbst gebaut und bin mächtig stolz darauf. Ich brauche keinen Palast – den habe ich Rudolf geschenkt.
Mir genügt dieses kleine Haus mit seinen zwei Schlafräumen, der abgetrennten Küche, dem Vorratsraum für meine Heilkräuter und dem Behandlungszimmer für Kranke, die heimlich zu mir kommen, weil sie nicht gesehen werden wollen. Du musst wissen, dieses Häuschen hat noch einen anderen, geheimen Zugang, von oben durch den Wald.
Ein Abtritt und ein kleiner Raum, in dem man baden kann, vervollständigen mein Zuhause. Was will ich mehr? Im Verschlag unter der Treppe bewahre ich Dinge auf, von denen ich mich nicht trennen will, und im Speicher schlafen meine Magd und ein Knecht.«
Magdalena, die ganz verschüchtert das bescheidene Heim betreten hatte, atmete auf, sobald sie das Innere im milden Schein mehrerer Öllampen erkennen konnte. Wohl war es klein, aber sehr zweckmäßig und gefällig eingerichtet und vor allem sauber. Gertrude wurde ihr immer sympathischer …
In dem winzigen Hausflur stellte Gandolf inzwischen Magdalenas Sack mit ihren wenigen Habseligkeiten ab und verabschiedete sich von ihr. Er hoffte, ungesehen ins Scheitlin’sche Haus zurückzugelangen. »Gott sei alle Zeit mit Euch, Jungfer!«
»Ich danke dir, Gandolf. Du hast mir sehr geholfen.« Das junge Mädchen war verlegen. »Leider habe ich nichts, womit ich dich entlohnen könnte …«
»Das hat Eure edle Verwandte bereits reichlich getan«,
gab der Bursche zur Antwort, verbeugte sich vor der Hausherrin und verschwand. Als Magdalena sich bei der Muhme bedanken wollte, winkte diese jedoch ab.
»Setz dich, meine Liebe«, forderte Gertrude sie auf und ließ sich selbst seufzend auf einer gepolsterten Bank neben einem kleinen Kamin nieder. Hier flackerte sogar zu dieser späten Stunde noch ein lustiges Feuerchen – Magdalena hatte kurz zuvor eine Kirchturmuhr Mitternacht schlagen hören. Sie beobachtete, wie eine schwarzweiße Katze Gertrude auf den Schoß sprang und laut zu schnurren begann, als diese sie hinter den Ohren kraulte.
»Es ist so wunderbar friedlich bei Euch«, begann Magdalena. »Fast könnte ich mein eigenes Elend darüber vergessen. «
»Du kannst dir alles von der Seele reden, mein liebes Kind. Nichts von dem, was du mir sagst, wird diesen Raum jemals verlassen«, versprach ihre Verwandte. »Du erwähntest vorhin, du seiest auf der Flucht? Wie kann das sein?«
Magdalena erinnerte sich an den Brief
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