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Das Erbe der Apothekerin - Roman

Das Erbe der Apothekerin - Roman

Titel: Das Erbe der Apothekerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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kommt einer! Ich schätze, es ist bloß der Nachtwächter«, flüsterte er seiner Begleiterin ins Ohr.
    »Oder es ist einer der Büttel, die mein feiner Oheim auf mich angesetzt hat.«
    Der jungen Frau wurde auf einmal eiskalt vor Furcht. Beide verharrten mucksmäuschenstill dicht an eine Hauswand gedrängt und starrten angestrengt in die Richtung, aus der das Geräusch forscher Schritte zu kommen schien.
    »Da vorne«, wisperte Magdalena. Und tatsächlich bog in diesem Augenblick eine große, breite Männergestalt um die Hausecke, eine brennende Fackel in der Hand, dicht gefolgt von einer hochgewachsenen Frau, deren ausladende Witwenhaube und Hebammentasche sie als Gertrude auswiesen.
    Erleichtert atmete das junge Mädchen auf. Sie löste sich von der Hausmauer, in die sie vorhin vor Schreck am liebsten hineingekrochen wäre, und trat mitten auf die Gasse. Auch Gandolf wagte sich jetzt aus dem Schatten der Häuser hervor und stellte sich schützend neben Magdalena.
    »Wer da?«
    Die Stimme des Mannes, der die berühmteste Heilerin und Wehmutter Ravensburgs begleitete, klang tief und voll und war in der Stille der Nacht gewiss meilenweit zu vernehmen. Als sich die vier Menschen gegenüberstanden, erkannte Magdalena, dass der Fackelträger ein junger Mann war, der zudem große Ähnlichkeit mit ihrem toten Vater hatte. Zweifelsohne musste es sich um Gertrudes unehelichen Sohn Rudolf handeln …
    »Ich bin Magdalena, die Tochter des verstorbenen Stadtapothekers
Georg Scheitlin, und das ist Gandolf, einer unserer Knechte«, begann sie mit zittriger Stimme. »Wir sind auf dem Weg zu Euch, Muhme Gertrude. Meine Großmutter Elise schickt mich und …« Die Stimme versagte ihr.
    »Dann komm mit uns, mein Kind«, gebot Gertrude ruhig, aus deren Haarknoten sich einige Strähnen gelöst hatten und unter der Haube hervorquollen. Magdalena schätzte sie auf gut fünfzig Jahre, auch wenn ihr im Fackelschein schimmerndes Haar bereits völlig weiß zu sein schien. In ihren Augen aber, die unter dichten, dunklen Brauen hervorblitzten, brannte ein jugendliches Feuer, und ihr Gesicht war nahezu faltenfrei.
    »So lernst du heute nicht nur mich, sondern auch gleich deinen Vetter Rolf kennen«, vernahm Magdalena die Stimme ihrer Verwandten, deren gütiger Klang sie an die Stimme ihrer eigenen, längst auf dem Gottesacker liegenden Mutter erinnerte. Der junge Mann hingegen murmelte nur einen flüchtigen Gruß.
    »Ich muss mich vor der Obrigkeit verstecken«, wagte Magdalena halblaut zu sagen. Besser, sie brachte es gleich hinter sich.
    »Dann bist du bei uns genau richtig«, erwiderte Gertrude ruhig. »Nur noch ein kleines Stück und wir sind daheim.«

KAPITEL 9
    DIE DREI LIEFEN hinter dem Sohn der Wehmutter her, die offenbar in dieser Nacht bei einer Entbindung geholfen hatte. Im Fackelschein war es nicht schwer, den Unebenheiten in der Gasse auszuweichen, und bald darauf standen sie
vor dem schlichten grauen Steinkasten, der in der Dunkelheit beinahe drohend vor ihnen aufragte.
    Vetter Rolf steckte die stark rußende Pechfackel in die ringförmige eiserne Halterung neben dem Eingangstor, das über insgesamt acht marmorne Stufen zu erreichen war.
    Das breite, abgeflachte Geländer der wuchtigen Steintreppe war mit rechteckigen Trögen besetzt, in denen Blumen wuchsen, deren Blätter und geschlossene Blüten Magdalena noch nie zuvor gesehen hatte – obwohl sie sich durch ihre jahrelange Mitarbeit in der Apotheke durchaus ein veritables Wissen über Kräuter und Pflanzen angeeignet hatte.
    Wie von Zauberhand öffnete sich das Tor, und die vier betraten das Gebäude, dessen Inneres mehr einem Adelspalais denn einem großbürgerlichen Wohnhaus glich. Entlang der Wände brannten Kerzen in gläsernen, kugelförmigen Lampenschirmen und erhellten das Innere der riesigen, über zwei Stockwerke reichenden Diele.
    Das Mädchen sah jetzt, dass eine ältere Dienerin auf die Heimkehr der Hausherrin gewartet und ihnen geöffnet hatte.
    Rudolf Reichle verbeugte sich vor seiner Mutter, küsste ihre Hand, wünschte ihr und der »unbekannten Base« eine gesegnete Nachtruhe und verschwand augenblicklich irgendwo in den Tiefen des geräumigen Hauses.
    »Komm nur weiter«, ermunterte Gertrude ihren späten Gast und winkte auch dem Knecht, nachdem sie ihre Haube abgenommen und sie der Dienerin samt der großen Tasche gereicht hatte. Magdalena wagte es kaum, auf dem spiegelglatt polierten, in schwarzweißem Schachbrettmuster verlegten Marmorboden fest

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