Das Erbe der Apothekerin - Roman
war.
Auf einmal glättete sich die Stirn, welche die junge Frau in längerem angestrengtem Nachdenken gerunzelt hatte. »Ich glaube, Trude, jetzt weiß ich, was ich wirklich will!«
Nachdem Gertrude gehört hatte, was ihre Verwandte plante, ließ sie sich ihren Schrecken zwar nicht anmerken, aber entsetzt war sie dennoch über Magdalenas Vorhaben. Es grenzte an Wahnsinn, sich als Schwangere den Gefahren eines solchen Unternehmens auszusetzen. Vor allem, wenn von vornherein klar war, dass es zum Scheitern verurteilt war …
»Was versprichst du dir davon, meine Liebe?«, fragte sie behutsam.
»Konrad soll mich sehen! Er soll außerdem wissen, dass ich sein Kind in mir trage, und er muss erfahren, dass ich ihn keineswegs verraten habe, sondern er mich, und zwar in dem Augenblick, als er Renata Feucht das Jawort gab – ohne die Verlobung mit mir vorher gelöst zu haben. Was wäre schon dabei gewesen, an den Bodensee zu reiten und mich im Kloster Sankt Marien aufzusuchen? Ich habe doch jedes Recht, auf ihn böse zu sein!«
»Das mag ja alles richtig sein, mein Kind. Aber Tatsache ist, dass Konrad nicht mehr frei ist! Dass er Vater eines Kindes ist, erfährt er noch früh genug, wenn er nach Hause kommt. Wieso willst du ihm, beziehungsweise dem Kaufmannszug, nach Italien hinterherreisen? In diesen unruhigen Zeiten, quer durch die Alpen? Woher willst du den Reisewagen nehmen? Denn das Reiten verbietet sich in deinem Zustand von selbst. Wer soll dich begleiten? Und wer sagt dir, dass du Konrad überhaupt einholen kannst? Vielleicht hat er längst beschlossen, den Tross der anderen Kaufleute unterwegs zu verlassen, um seiner Frau die Schönheiten der italienischen Städte zu zeigen. Es ist immerhin auch seine Hochzeitsreise … Sei mir nicht böse, mein Kind! Aber ich halte diesen Plan für äußerst abenteuerlich und nicht unbedingt für sehr gut.«
Auf keine der von Gertrude aufgeworfenen Fragen wusste Magdalena eine vernünftige Antwort. Zudem schossen ihr bei der Erwähnung der Hochzeitsreise fast wieder die Tränen in die Augen.
Angesichts der fortgeschrittenen Nachtzeit beschlossen die Frauen, erst einmal zu Bett zu gehen. Gertrude führte ihre Nichte in eines der beiden Schlafkämmerchen, wo dank
der Dienerin Auguste ein bequemes Bett für sie bereitstand. »Lass dich umarmen, mein Kind, und schlafe wohl bis zum Morgen!«
»Habt vielen Dank für Eure Güte, Muhme! Der Herrgott segne Euren Schlaf!«, erwiderte das Mädchen und küsste die Ältere auf beide Wangen.
Kaum berührte Magdalenas Kopf das mit Gänsedaunen gefüllte Kissen, versank sie auch schon im tiefen süßen Schlaf der Jugend, während die Heilerin noch lange kein Auge zubekam. Gar zu ernst und aufwühlend waren die Gedanken, die in ihrem Kopf umhergeisterten.
Erinnerte sie das Ganze doch fatal an ihre eigenen jungen Jahre, als sie, seit längerem verwitwet, allein und von allen im Stich gelassen ihr Kind zur Welt brachte und es ohne Vater großzog – im Kampf gegen alle Widrigkeiten und nicht zuletzt gegen alle Versuche der geistlichen und weltlichen Obrigkeit, ihr, einer ledigen und »sündigen« Mutter, das Sorgerecht für den Sohn zu entziehen.
Sie sei moralisch verkommen, und einer solchen Person könne man kein Kind anvertrauen. Es sei nicht gewährleistet, dass sie den Knaben in »aufrichtig christlicher Gesinnung« erziehe, hieß es, und es hatte tatsächlich Bestrebungen in Ravensburg gegeben, ihr Rudolf zu entreißen und ihn in ein klösterliches Waisenhaus zu stecken …
»Jesus Christus! Was ist das nur für eine Zeit gewesen! Gekämpft habe ich wie eine Löwin um ihr Junges, um meinen Buben behalten zu können. Möge der Herr geben, dass Lena nicht ebensolches Leid erleben muss wie ich!« Mit diesem innerlichen Stoßseufzer fiel endlich auch Gertrude in einen schweren, traumlosen Schlaf.
KAPITEL 10
DAS UNVERMEIDLICHE WAR eingetroffen – und eher als befürchtet: Die Klosterknechte von Sankt Marien waren in Ravensburg angekommen, um die Flüchtige aufzuspüren und einzufangen. Bereits am Stadttor konnten die Wächter ihnen verraten, dass die gesuchte Apothekerstochter Magdalena Scheitlin am vergangenen Tag mit einem schäbigen, aber immerhin von zwei Gäulen gezogenen Wagen hier eingetroffen sei.
Jetzt stand Margret vor den vier Männern und kam sich vor wie eine Verbrecherin. Sie hatte sich, um ihrer angeheirateten Nichte einen Gefallen zu tun, aufs Lügen verlegt. Standhaft leugnete sie, die Abgängige in letzter Zeit
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