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Das Erbe der Apothekerin - Roman

Das Erbe der Apothekerin - Roman

Titel: Das Erbe der Apothekerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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konnte, wenn ihm die Hand ausrutschte.
    Zum Ausgleich brüllte er, dass man es sicherlich noch einige Straßen weit hören konnte. Als er gar nicht mehr aufhören wollte, wurde der Lärm, den er veranstaltete, auf einmal durch ein noch viel lauteres Geräusch übertönt: Seine Mutter zeigte sich oben auf der Treppe und hieb mit einem Blechlöffel mit aller Kraft auf den Boden eines umgedrehten eisernen Topfes ein.
    Das martialische Scheppern machte es unmöglich, auch nur ein Wort von den Schmähungen und Verwünschungen zu verstehen, die der selbst ernannte neue Stadtapotheker gegen sein Weib und gegen seine Nichte ausstieß.
    Wutentbrannt stürmte er ins Stiegenhaus und kreischte immerfort: »Aufhören! Aufhören! Zum Teufel! Sofort Ruhe da oben!«
    Aber Elise ließ sich nicht beirren und verlieh ihrem Protest weiter lautstarken Ausdruck, bis zum Schluss allen die Ohren wehtaten.
    Entnervt hielt Mauritz schließlich seinen Mund, schnappte sich seinen Umhang und stürzte hinaus auf die Gasse. Dort musste er erleben, dass sich bereits ein kleiner Volksauflauf vor dem Anwesen gebildet hatte. Und was das Schlimmste war: Die Leute lachten über ihn!
    So schnell er konnte, verfolgt vom Gegacker der Ravensburger Weiber und dem sonoren Gelächter der um keinen Deut vernünftigeren Mannsbilder, eilte er zum »Esel«, einer Gaststätte und gleichzeitig Versammlungsort der wichtigsten Verbindung der reichen Kaufleute und Handelsherren der Stadt, der auch sein Bruder angehört hatte.

    Aber auch dort sollte er keinen Frieden finden. Die Kunde von dem seltsamen Spektakel in seinem Haus hatte ihn bereits eingeholt, ja überholt. Und der Empfang, den die Herren ihm, dem »Neureichen«, bereiteten, war keineswegs ein liebenswürdiger. Mit ätzendem Spott übergoss ihn sogleich einer aus der bedeutenden Sippe der Humpiß, und die anderen standen ihm in nichts nach. Einhellig verurteilten die Herren sein unfeines, unbeherrschtes und die Autorität seiner Ehefrau vor dem Gesinde untergrabendes Benehmen. Die Art und Weise, wie Elise sich »gewehrt« hatte, bewunderten indes ausnahmslos alle.
    Mauritz blieb nur, sich den Anschein von Gelassenheit zu geben und im Stillen mit den Zähnen zu knirschen. Ja, er schaffte es sogar, mit einem schiefen Lächeln auf die Vorhaltungen der reichen Handelsherren zu reagieren.
    »Meine Mutter versucht schon immer, Zwietracht zwischen meinem Weib und mir zu säen. Nun, sie ist nicht mehr die Jüngste«, unternahm er den vergeblichen Versuch abzuwiegeln. »Der Tod meines Bruders Georg hat sie zudem arg mitgenommen. Ich fürchte, mittlerweile ist sie nicht mehr ganz richtig im Kopf.«
    Sein Bestreben, Elise als senil darzustellen, kam leider gar nicht gut an …
    »Hört mir zu, mein Lieber!«, fuhr ihn kalt und von oben herab einer der Handelsherren an und fasste ihn dabei streng ins Auge. »Ich kenne kaum eine alte Dame, die besser bei Verstand ist als Eure Mutter. Das lasst Euch gesagt sein! Und wenn sie gezwungen ist, zu solchen Mitteln zu greifen, um Euch davon abzuhalten, wie ein Ochse, der abgestochen wird, zu brüllen, dann liegt das mit Sicherheit nicht an der sehr verehrten Frau Elise. Schade, dass Ihr insgesamt so wenig von Eurem verstorbenen Bruder habt!«

    Damit ließ einer der reichsten und bedeutendsten Bürger von Ravensburg den kleinen Bader – der er in ihren Augen immer noch war und auch bleiben würde – einfach stehen, und auch alle anderen Honoratioren wandten ihm den Rücken zu. Mauritz Scheitlin, der nicht wusste, was er tun sollte – bleiben oder wieder gehen –, entschloss sich widerstrebend zu letzterem.
    »Ach herrjeh! Das hätte ich beinahe vergessen!«, sagte er laut wie zu sich selbst, schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, als fiele ihm gerade etwas Wichtiges ein, und machte, dass er den »Esel« verließ. Niemand achtete auf seinen Abgang.
    Draußen auf der Gasse hatten sich die Spötter zum Glück verzogen; die, welche jetzt geschäftig hin- und herliefen, wussten nichts von seinem häuslichen »Theater«. Mauritz hielt es für das Beste, sich in eines der zahlreichen Wirtshäuser zu flüchten, die normalerweise kein besserer Bürger aufsuchte.
     
    Gertrude ließ ihre junge Verwandte am nächsten Morgen lange ausschlafen. Das Mädchen schien ihr erschöpft und auf Grund der Schwangerschaft in besonderem Maße der Ruhe bedürftig. Sie selbst erhob sich jedoch gemäß ihrer Gewohnheit bereits um fünf Uhr morgens. Wie üblich ging sie hinüber ins

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