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Das Erbe der Apothekerin - Roman

Das Erbe der Apothekerin - Roman

Titel: Das Erbe der Apothekerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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sich Magdalena unter größter Anstrengung zu einer Antwort durch. »Nur unser Leben haben sie uns gelassen, sowie die Kleider, die wir am Leib tragen. Wobei ich bei mir nur noch von Fetzen sprechen kann.« Automatisch raffte sie dabei die Überreste ihrer Bluse zusammen.
    Obgleich jede Bewegung sie entsetzlich schmerzte, zwang sie sich, nach den Verletzungen des Knaben zu sehen. Auch er hatte Abschürfungen, schmerzhafte Prellungen sowie vermutlich ein gebrochenes Bein davongetragen. Als Betz sich übergeben musste, wusste sie, dass er auch an einer Gehirnerschütterung litt.
    Die junge Frau brachte es erst jetzt fertig, nach Rolf zu sehen. Vor Furcht zitternd legte sie die kurze Distanz zu ihm zurück und bückte sich zu dem am Boden Hingestreckten. Unbeweglich und stumm lag er da, das selbst im Tod noch attraktive Gesicht mit weit aufgerissenen Augen gen Himmel gerichtet. Auf seiner aufgerissenen Kehle saßen bereits summende Schmeißfliegen und labten sich an dem dunkelroten Blutfluss.

    Dieser Anblick ließ sie in haltloses Schluchzen ausbrechen, obwohl sie sich vorgenommen hatte, um des Knaben willen einigermaßen Ruhe zu bewahren.
    In einigen Metern Abstand lag auch Utz, seltsam verdreht, ein Bein angezogen und mit weit ausgestreckten Armen auf dem Gesicht liegend; auch er war für immer verstummt. Um seinen Kopf hatte sich gleichfalls eine riesige Blutlache gebildet, die einem Schwarm von Mücken zur Nahrung diente. Magdalena spürte, wie ihr ein bitterer Geschmack den Gaumen hochstieg, und sie musste ein Würgen unterdrücken. Sie stolperte zurück, weg von Utz.
    Erst langsam wurde ihr die gesamte Tragweite dessen bewusst, was ihr und ihren Begleitern widerfahren war. Wie konnten sie und Betz überleben? Ohne alles? Überdies überkamen sie plötzlich krampfartige Schmerzen in Rücken und Unterleib, die so stark waren, dass Magdalena in sich zusammensank.
    »Ich bekomme Wehen«, sagte sie ausdruckslos, nachdem sie sich die Tränen abgewischt hatte. »Wir müssen Hilfe herbeirufen. «
    Kraftlos kroch sie ganz nah an ihren toten Vetter heran und bettete seinen Kopf in ihren Schoß. Behutsam schloss sie mit einer blutbefleckten Hand seine blauen Augen, dann küsste sie ihn auf den Mund, zum ersten und zugleich letzten Mal.
    Betz beobachtete, wie Magdalena Rolfs Oberkörper an ihre Brust drückte und ihn zärtlich wie eine Mutter ihr Kind hin und her wiegte, dabei ein ihm unbekanntes Lied summend. Der Knabe wagte nicht, sie zu stören – spürte er doch, dass dies ein ganz besonderer Augenblick war.
    »Oh, Rolf«, dachte die junge Frau, »du hast es immer so gut mit mir gemeint! Du hast es ganz gewiss nicht verdient, so jung und auf solche Art zu sterben. Längst ist mir aufgegangen,
dass du mich geliebt hast; nur aus Rücksicht auf meine Liebe zu Konrad hast du geschwiegen. Wer weiß, was aus uns noch geworden wäre?«
    Erst nach einer ganzen Weile, als eine neue Welle des Schmerzes über Magdalena hinwegspülte und sie ihren Gesang abrupt beendete, wagte Betz es, sich zu ihr zu schleppen und sie mit seiner unverletzten Hand sachte am Arm zu berühren.
    »Frau Lena«, wisperte er, »soll ich laut um Hilfe schreien?«
    »Ja, Betz, mach das«, gab sie ebenso leise zur Antwort. »Vielleicht haben wir ja Glück, und es hört uns jemand.« Erschrocken presste sie dann ihre Lippen zusammen. In ihrer jetzigen Lage das Wort »Glück« überhaupt in den Mund zu nehmen, erschien ihr mit einem Mal ungeheuer vermessen.
    »Zu Hilfe, zu Hilfe! Überfall! So helft uns doch!«, erschallte gleich darauf die pubertär kippende Stimme des Jungen, die sich an den steilen Wänden des Hohlwegs brach.
    »Wo bleiben die Leute bloß? Vorher sind uns doch andauernd ganze Scharen von Menschen begegnet!«, fragte er sie erschöpft und verzog dabei das Gesicht vor Schmerzen, ehe er erneut um Hilfe rief. Auch Betz bedurfte dringend ärztlicher Versorgung.
    Kurz darauf tauchten wie durch ein Wunder vier Mönche auf ihren Eseln auf. Sie waren auf dem Rückweg aus Mailand in ihr Kloster, das in der Nähe auf einer Anhöhe lag.
    Die barmherzigen Brüder zügelten abrupt ihre Reittiere, als sie den Hohlweg erreichten. Mit wenigen Blicken hatten sie die Erfordernisse der Situation erkannt und nahmen sich unverzüglich der schwerverletzten jungen Frau und des verwundeten Jungen an: Nach einer flüchtigen Untersuchung, einer minimalen Erstversorgung und der Verabreichung von Wasser hievten sie die beiden auf zwei der Esel und erboten
sich, sie zum

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