Das Erbe der Apothekerin - Roman
Monastero di San Francesco zu bringen, einer kleinen Abtei kurz hinter dem Örtchen Castasegna, in einem Seitental unterhalb des majestätischen Pizzo Stella gelegen.
»Im Kloster wird sich unser Bruder Medicus Eurer annehmen, Donna«, versprach der älteste der Ordensbrüder, ein weißhaariger Franziskanermönch mit väterlich gütigem Gesicht. »Dort könnt Ihr uns dann berichten, was Euch widerfahren ist und wer Euch so übel zugerichtet hat.«
Zwei der Männer in den dunkelbraunen Kutten unternahmen es stillschweigend, die beiden Leichen auf ihre Tiere zu heben. »Wenn Ihr einverstanden seid, werden wir die zwei Getöteten nicht hier am Wegesrand, sondern auf unserem Klosterfriedhof zur ewigen Ruhe betten«, wandte sich einer von ihnen an die völlig entkräftete Magdalena, der inzwischen alles Blut aus dem Gesicht gewichen war und die nur noch stumm nickte. Auf der kurzen Strecke zur Abtei wurde sie mehrere Male fast bewusstlos und konnte sich nur noch mit äußerster Mühe im Sattel halten.
Bereits über einen Monat befanden sich Magdalena und Betz nun schon in der Obhut der freundlichen Mönche. Die grauenvolle Begebenheit in dem unseligen Hohlweg hatte höchstens zwanzig Minuten gedauert, dennoch erschien es der jungen Frau, als wäre es eine Ewigkeit gewesen.
Ihr ganzes Leben hatte sich seitdem schlagartig verändert. Vor allem sie selbst war nicht mehr das gleiche unbeschwerte Mädchen, das bisher nur an das Gute in den Menschen geglaubt hatte – wenn auch mit gewissen Abstrichen, wenn sie an ihren hinterhältigen Oheim dachte.
Aber selbst Mauritz Scheitlin war ein Ehrenmann, verglichen mit den drei skrupellosen Mördern, Räubern und Vergewaltigern.
Trotz aller Mühe, die Bruder Johannes, der Medicus, sich mit dem »Frühchen« gegeben hatte: Der Kleine war noch nicht lebensfähig gewesen.
»Der Herrgott hat es sich offensichtlich anders überlegt mit deinem Sohn«, hatte der Vater Prior versucht, Magdalena zu trösten. »In Seiner Weisheit und Güte befand Er es für besser, ihm das schwere Erdenleben zu ersparen, und hat ihn lieber gleich zu sich in den Himmel geholt.«
Magdalena lag es auf der Zunge, die provokante Frage zu stellen, wieso es von Gottes Weisheit und Güte zeugen sollte, wenn Er eine Frau erst an den Rand des Todes bringen musste, weil Er ihr Ungeborenes sterben lassen wollte. Und weshalb Er es nicht gleich zu Anfang verhindert hatte, dass sie überhaupt schwanger geworden war, wenn Er doch angeblich wusste, was geschehen würde …
Sie wollte jedoch die frommen Männer nicht kränken und so schwieg sie lieber. Aber die Zweifel an des Herrgotts Güte, seiner Allwissenheit und Barmherzigkeit sollten sie nun insgeheim ihr Leben lang begleiten.
Drei Wochen lang schwebte sie zwischen Tod und Leben. Was es dem Heilkundigen der klösterlichen Gemeinschaft so unsagbar erschwerte, sie schneller gesunden zu lassen, war ihre unbeschreibliche Gleichgültigkeit gegen alles und jeden. Die junge Frau schien sich selbst aufgegeben zu haben und verweigerte am Anfang sogar die Mahlzeiten, obwohl diese doch zur Wiederherstellung ihrer Kräfte so wichtig waren.
Erst seit ungefähr eineinhalb Wochen ging es mit Magdalena körperlich rapide aufwärts – ihr starker junger Körper war auch ohne ihr Zutun genesen –, aber ihr Gemüt war nach wie vor verdüstert.
»Wozu bin ich denn überhaupt noch am Leben, Frater Medicus? Seht Ihr etwa einen besonderen Sinn darin?«,
wollte sie von Bruder Johannes wissen, und ihre Stimme war von Trotz erfüllt.
Diese Frage stellte sie dem noch jungen Mönch nicht zum ersten Mal. Die beiden saßen auf einem kleinen Felssporn in Rufweite des Klosters, mit atemberaubender Aussicht nach Süden. Weit unten, zu ihren Füßen im Tal, lag die Stadt Chiavenna mit ihren zahlreichen Kirchtürmen, und ganz weit weg glaubte Magdalena die glitzernde Wasserfläche des Comersees zu erspähen.
Sie erhob den Blick zum seidigblauen Septemberhimmel und zu den kreischenden Bergdohlen, die ihre Kreise immer enger um sie und Frater Johannes zogen.
»Welche Frage, Donna Lena!«, ereiferte sich der Medicus. »Seid froh und dankbar, dass Ihr Euch wieder so gut erholt habt! Ihr seid sogar so weit wiederhergestellt, dass Ihr mir bei der Pflege der Kranken dankenswerterweise zur Hand gehen könnt. Ihr seid stark, jung und gesund, und das ganze Leben liegt noch vor Euch!«
»Dank Euch, Frater! Natürlich weiß ich, wie viel ich Euch zu verdanken habe. Ohne Euch und Eure kundige
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