Das Erbe der Azteken
das Knirschen von Geröll unter Stiefelsohlen. Die Gruppe der Verfolger drang tiefer in die Höhle ein. Da sich ihre Augen an die herrschende Dunkelheit angepasst hatten, konnten Sam und Remi das matte Flackern der Fackel im Tunnel auf der rechten Seite wahrnehmen. Die Frage war, wann auch ihre Besucher das Licht sehen würden.
Bei dem Versuch, die Verfolger genau zu orten, drehten Sam und Remi die Köpfe hin und her. Remi flüsterte: »Sie müssen dicht vor der hinteren Höhlenwand sein.«
Das Knirschen der Schritte stoppte. Eine einzelne Stimme rief etwas auf – wie Sam vermutete – Madagassisch, und während das Wort für ihn keinen Sinn ergab, verriet der Tonfall Erstaunen und Überraschung, als sollte es heißen: Seht mal, eine Fackel!
Ganz gleich, was gesagt wurde, es hatte auf jeden Fall den gewünschten Effekt. Die Gruppe setzte ihren Weg fort, doch nun um einiges vorsichtiger, wie das deutlich langsamere Tempo ihres Vorrückens verriet. Schon bald beobachteten Sam und Remi, wie die erste Gestalt in den Lichtschein der Fackel gelangte. Dann die zweite. Und so weiter. Bis alle fünf Männer zu sehen waren. Nacheinander kamen die Männer die Rampe herunter. Stiefel tauchten plätschernd in Wasser.
Sam flüsterte: »Gleich ist es so weit … und zwar …«
Ein kehliger Schrei hallte durch die Höhle.
»… jetzt«, endete Sam.
Zu dem ersten Schrei gesellte sich sofort ein zweiter, dann ertönten laute Rufe. Remi konnte ein Wort verstehen – einen wüsten Fluch. »Offenbar hat jemand Probleme mit seiner Blase«, wisperte sie.
Sam zückte den Revolver und stützte den Lauf auf den Stein, hinter dem er kniete.
Von der anderen Seite der Höhle drangen lautes Plätschern und dann das Getrappel von Stiefeln auf der Rampe zu ihnen herüber. Danach erste Schüsse, zuerst vereinzelt, zaghaft, dann Dauerfeuer, ein Kugelregen, der gegen die Höhlenwände prasselte. In der Tunnelöffnung auf der rechten Seite entfesselte das Mündungsfeuer der Kalaschnikows ein regelrechtes oranges Blitzgewitter. In seinem Licht waren Männer zu erkennen, die durcheinanderstolperten und eilig auf dem Rückzug waren.
»Ich zähle fünf«, raunte Sam.
»Ich auch.«
Sobald sie ebenen Grund erreicht hatten, machten die Rebellen kehrt und sprinteten los, die meisten in Richtung Ausgang. Einer, sichtlich in blinder Panik, rannte quer durch die Höhle auf Sams und Remis Versteck zu. Der Mann stolperte, stürzte in den Bach und kroch auf der anderen Seite wieder heraus. Er kam auf die Füße, machte noch ein paar Schritte auf Sam und Remi zu, dann stoppte er und sah sich um.
Vor dem hellen Fackelschein war der Mann lediglich ein dunkler Schatten. Sam zielte mit dem Webley auf einen Punkt mitten zwischen seinen Schultern.
»Dreh dich um, verdammt noch mal …« Sam und Remi hatten beide schon auf Menschen geschossen und auch getötet, aber sie hatten dabei niemals ein gutes Gefühl gehabt. Ob notwendig oder nicht, es war immer eine hässliche Angelegenheit. »Dreh dich um …«, murmelte Sam.
Vom Eingang erklang ein lauter Ruf herüber: »Rakotomalala! «
Der Mann wirbelte herum, hielt für den Bruchteil einer Sekunde inne, dann startete er in Richtung Höhleneingang. Sam ließ den Webley sinken und atmete zischend aus.
Er und Remi warteten, bis sie das veränderte Rauschen des Wasserfalls wieder hörten, dann stand Sam auf und schlich zum Höhleneingang und durch die Grotte. Er zwängte sich zwischen die Steinblöcke und schob sich mit dem Kopf erneut durch die Kaskade, bis er die Lagune sehen konnte. Die Rebellen waren derart verängstigt, dass keiner über die Steine balancierte. Alle hatten den Weg durchs Wasser gewählt und brachten sich schwimmend in Sicherheit. Sie hatten soeben den Strand erreicht. Wild gestikulierend und mit lauten Stimmen berichteten sie ihrem Anführer von den Krokodilen. Der Mann musterte sie sekundenlang mit Augen, die vor Wut funkelten, dann bellte er einen Befehl. Die Männer sammelten Sams und Remis Rucksack ein, danach entfernte sich die Gruppe flussabwärts.
Sam sah ihnen nach, bis sie um die Flussbiegung verschwanden – und wartete zur Sicherheit weitere fünf Minuten. Schließlich kehrte er zu Remi zurück. »Sie sind weitergezogen.«
»Wie können wir da so sicher sein?«
»Das können wir nicht, aber entweder brechen wir jetzt auf oder wir warten, bis es Nacht wird. Ich bin nicht scharf darauf hierzubleiben. Wir haben unser Glück mit unseren geschuppten Gastgebern genug
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