Das Erbe der Azteken
überhaupt, etwas in Orizagas neuer Heimat finden würden, das für sie wichtig war. Und doch führten sämtliche Reifen, durch die sie seit Sansibar gesprungen waren, in eine Richtung. Blaylocks Suche, sein Tagebuch, die Landkarten, der Kodex, Orizaga selbst und jetzt auch der Laborbericht – alles deutete auf einen unbekannten Ort in Indonesien hin.
»Unser Leben wäre viel einfacher, wenn Orizaga eine Adresse hinterlassen hätte«, sagte Sam. »Das ist wirklich etwas rücksichtslos.«
»Wenn er gewusst hätte, dass wir kommen, hätte er das sicherlich getan«, erwiderte Remi. »Was hat die Frau bei unserem letzten Versuch gesagt, wie das Haus aussehen soll – rot oder grün?«
»Grün.«
Seit ihrer Ankunft in Palembang am Vortag hatten sie sechs örtliche Museen oder Historiker aufgesucht, die sich angeblich auf die Stadtgeschichte vor der holländischen Kolonisierung spezialisiert hatten. Bisher hatte aber keiner der Experten je von Orizaga gehört, und jeder hatte Sam und Remi empfohlen, im Mikrofilmarchiv der Stadtverwaltung die Zeitungen aus den letzten Jahrhunderten auf der Suche nach einem Hinweis auf ihren Freund durchzukämmen.
Sam fuhr mit dem Zeigefinger über den Stadtplan und duckte sich gelegentlich, um durch die Windschutzscheibe das nächste Straßenschild lesen zu können. Schließlich faltete er den Stadtplan zusammen und reichte ihn Remi mit einem zuversichtlichen Lächeln.
»Ich weiß jetzt, wo ich mich geirrt habe.«
»Allgemein oder auf der Suche nach der Adresse?«
»Wie lustig.«
Sam legte den Gang ein, wartete auf eine Lücke im fließenden Verkehr und fädelte sich ein.
Nachdem sie zwanzig Minuten lang durch Seitenstraßen gekurvt waren, gelangten sie in ein Industriegebiet mit zahlreichen Lagerhäusern. Dahinter fanden sie zu ihrer Überraschung eine stille, mit Bäumen bestandene Wohnstraße, die als Sackgasse endete. Die Häuser waren eher klein, aber bestens gepflegt. Am Ende des Wendekreises stoppte Sam vor einem Gebäude im Stil amerikanischer Ranchhäuser: gelbgrün mit braunen Fensterläden und mit einem weißen Lattenzaun, der halb unter Schlingpflanzen mit roten Blüten verborgen war.
Sie gingen über einen Weg, stiegen die Treppe zum Eingang hinauf und klopften an die Haustür. Dort hörten sie das Geräusch von Schritten auf einem Holzfußboden. Die Tür wurde geöffnet, und zum Vorschein kam ein Mann Mitte fünfzig mit weißem Haar. Er trug eine sorgfältig gebügelte helle Baumwollhose und ein weißes Oberhemd mit Button-Down-Kragen.
»Guten Tag. Was wünschen Sie?«, fragte er mit ausgeprägtem Oxford-Akzent.
»Wir wollen zum Sukasari House«, brachte Remi ihr Anliegen vor.
»Sie haben es gefunden, Madam. Womit kann ich dienen?«
»Wir suchen jemanden – einen Mönch –, der möglicherweise im sechzehnten Jahrhundert in dieser Gegend gelebt hat.«
»Oh, gut, ist das alles? Ich dachte schon, Sie wollten mir einen Staubsauger oder einen Satz Kochtöpfe andrehen«, sagte der Mann mit einem ironischen Lächeln. »Bitte, kommen Sie doch herein.« Er trat zurück, um den Eingang frei zu geben. »Mein Name ist Robert Marcott.«
»Sam und Remi Fargo.«
»Folgen Sie mir. Ich mache uns einen Tee und erzähle Ihnen dann alles, was ich über Indonesien im fünfzehnten Jahrhundert weiß.«
»Entschuldigen Sie, dass ich so etwas sage«, meinte Remi, »aber unsere Frage scheint Sie nicht im Mindesten zu überraschen.«
»Das tut sie auch nicht. Kommen Sie, setzen Sie sich. Ich erkläre es Ihnen.«
Er geleitete sie in ein Arbeitszimmer, dessen Wände aus deckenhohen Bücherregalen bestanden. Der Fußboden war mit einem Perserteppich bedeckt, auf dem einige Sitzmöbel aus Rattan um einen Couchtisch arrangiert waren. Sam und Remi nahmen auf dem Sofa Platz.
»Ich bin sofort bei Ihnen«, versprach Marcott, dann verschwand er durch eine Seitentür. Sie hörten das Klirren von Geschirr, dann das Pfeifen eines Wasserkessels. Er kam mit einem Teeservice zurück, füllte ihre Tassen und machte es sich ihnen gegenüber in einem Sessel bequem.
»Wer hat Sie zu mir geschickt?«, erkundigte sich Marcott.
»Eine Frau namens Ratsami …«
»Eine reizende Lady. Hat allerdings nicht die geringste Ahnung von der Geschichte Sumatras vor dem zwanzigsten Jahrhundert.«
»Sie war überzeugt, dass dies ein Museum sei.«
»Ein Verständnisproblem, fürchte ich – Historiker gegen Museum. Zwar ist Indonesisch die offizielle Verkehrssprache, aber es gibt unzählige Dialekte, und da
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