Das Erbe der Azteken
Bild – die hässliche Schlange oder der Vogel?«
»Der Vogel.«
Dumadi lehnte sich ächzend zurück, dann antwortete er.
»Eine besondere Bedeutung hat er nicht«, übersetzte Marcott. »Für ihn ist es nur ein Vogel. Er hat ihn schon mal im Zoo gesehen.«
»Hier?«, fragte Remi.
»Er weiß nicht mehr, wo genau. Er sah einen solchen Vogel, als er noch ein Kind war. Sein Vater nannte ihn Helmvogel – wegen der Wölbung auf seinem Hinterkopf.«
Sam öffnete den Mund zu einem Kommentar, zögerte und fragte dann: »Was ist das? Wie nennt man ihn?«
»Das ist ein maleo. Dumadi sagt, er könne sich erinnern, dass diese Tiere viel schöner sind als Ihre Zeichnung. Mittelgroß, mit schwarzem Rücken, weißer Brust, gelber Haut um die Augen und einem orangenen Schnabel. Wie ein besonders buntes Huhn.«
Dumadi sprach mit Marcott, der wieder übersetzte: »Er möchte wissen, ob diese Zeichnung etwas mit Orizaga zu tun hat.«
»Das hat sie«, bestätigte Sam.
»Sie erinnert ihn an eine Geschichte über Orizaga. Möchten Sie sie hören?«
»Ja, bitte«, antwortete Remi.
»Wie bei den meisten ihrer Familiengeschichten können sich Einzelheiten im Laufe der Zeit geändert haben, aber im Kern geht es um Folgendes: Kurz vor seinem Tod kannten die meisten Bewohner Palembangs Orizaga, und sie hatten ihn gern. Sie waren außerdem davon überzeugt, dass er von einer Art boshaftem Geist besessen war.«
»Warum?«, wollte Sam wissen.
Marcott hörte sich Dumadis Erklärung an. »Es ähnelt dem, was Sie mir in meinem Haus erzählt haben. Er wanderte oft durch den Urwald, erzählte von Höhlen und Göttern und dass er hierhergekommen sei, um den Ort zu suchen, an dem die Götter wohnen … Sie verstehen das sicher. Doch niemand fürchtete sich vor Orizaga; sie glaubten, dass sich der böse Geist über den alten Mann lustig machte und mit ihm spielte.
An dem Tag, an dem Orizaga verschwand, erklärte er allen, dass er sich wieder auf die Suche nach den Götterhöhlen begeben wolle und wisse, dass er, wenn er auf ein Nest großer Vögel stoße, den Ort gefunden haben werde.«
40
Jakarta, Indonesien
»Wie sicher sind Sie sich, Selma?«, fragte Sam.
Er und Remi saßen auf den Betten ihrer Suite im Four Seasons. Am Tag zuvor, kurz nachdem sie Dumadis Haus verlassen und sich von Robert Marcott verabschiedet hatten, waren sie auf dem Sultan Mahmud Badaruddin II Airport in Palembang für den Zweihundertfünfzig-Meilen-Trip über die Javasee nach Jakarta an Bord einer Chartermaschine der Batavia Air gegangen. Das Four Seasons erschien ihnen als ideale Operationsbasis für ihre weiteren Unternehmungen.
Selmas Stimme drang aus dem Mithörlautsprecher des Telefons. »Ich habe es ihm auf den Kopf zugesagt. Er hat es zugegeben.«
»Dieser verlogene Mistkerl. Ich frage mich, ob er überhaupt Enkelkinder hat, die in London aufs College gehen.«
»Oder ob er wirklich todkrank ist«, fügte Remi hinzu.
»Beides entspricht der Wahrheit. Ich hab’s überprüft. Trotzdem ist er für mich ein Betrüger.«
Von den vielen unbeantworteten Fragen und Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit Sams und Remis Abenteuer war es ein Punkt gewesen, der Selma besonders gestört hatte: Woher hatten Rivera und sein Boss, Präsident Garza, gewusst, dass die Fargos in Madagaskar sein würden? Wer hatte den Zoll beauftragt, auf ihre Reisepässe zu achten? Für Selma gab es nur zwei Möglichkeiten: Cynthia Ashworth, die Bewahrerin der Briefe von Constance Ashworth, oder Morton, Inhaber des Blaylock-Museums und -Souvenirladens. Die beiden hatten sich als Sams und Remis ergiebigste Quellen bei ihren Recherchen erwiesen. War es möglich, dass Rivera und Garza diese Quellen ebenfalls angezapft hatten?
Indem sie ihre beste Böser-Cop- Imitation inszenierte, hatte Selma sich zuerst Morton vorgenommen und behauptet, sie wisse längst, dass er Blaylock-Material auch anderweitig verkauft habe, und meine, dass er jetzt lieber reinen Tisch machen solle, sonst werde sie ihn vor Gericht bringen. Morton brach schon nach zwei Minuten zusammen, berichtete Selma.
»Er kannte Riveras Namen zwar nicht und hatte keine Ahnung, wie er von dem Museum erfahren hatte, aber vor fünf Jahren waren er und ein paar seiner Schläger bei ihm aufgetaucht und hatten Fragen über Blaylock und die Shenandoah gestellt. Morton sagt, er habe Rivera nicht über den Weg getraut und damit gerechnet, dass sie ihn durch die Mangel drehen würden, wenn er nicht kooperierte, daher habe er an jenem Tag
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