Das Erbe der Azteken
können?«
»In beiden Büchern werden nur Monate und Jahre genannt; im Tagebuch deutlich seltener und mit größeren Abständen dazwischen. Wir vergleichen zwar und suchen nach Gemeinsamkeiten, doch es gibt signifikante Diskrepanzen. Zum Beispiel fanden wir in der Biografie einen Zeitraum, in dem er im Kongo unterwegs ist, während er laut dem Tagebuch auf See war. Das Ganze ist ziemlich mühsam.«
»Irgendetwas passt nicht zusammen«, sagte Sam.
»Nur eine Sache?«, erwiderte Remi. »Ich habe da eine viel längere Liste.«
»Ich auch. Aber mal zurück zu dem Logbuch-Aspekt: Wenn wir denken, dass Blaylock mit der Shenandoah – ich meine El Majidi – auf See war, ergibt sich ein Widerspruch. Nach allem, was wir wissen, hat der Sultan von Sansibar, nachdem er die Shenandoah im Jahr 1866 kaufte, das Schiff, während es vor Anker lag, aufgegeben und nicht mehr beachtet, bis es 1872 oder 1879 zerstört wurde. Ich denke, irgendjemandem wäre es doch aufgefallen, wenn die Shenandoah nicht mehr an ihrem alten Platz gelegen hätte.«
»Das ist ein gutes Argument«, sagte Selma und machte sich eine Notiz. »Ein weiterer seltsamer Punkt: Sultan Majidi starb im Oktober 1870, und sein Bruder und Erzrivale, Sayyid Bargash bin Said, wurde sein Nachfolger. Ordnungsgemäß ist er auch Eigentümer der El Majidi geworden. Einige Historiker stoßen sich daran, dass Sayyid den Namen des Schiffes nicht änderte, sondern das Schiff sogar behielt und an seinem alten Ankerplatz liegen ließ.«
Sam fügte hinzu: »Können wir so etwas wie eine Zeitlinie für die Shenandoah beziehungsweise El Majidi erstellen? Dann lassen sich die Ereignisse besser überblicken.«
Selma griff nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer des Archivs. »Wendy, würden Sie mal so nett sein, sämtliche Daten der Shenandoah beziehungsweise El Majidi tabellarisch aufzulisten? Danke.«
»Wir müssen auch mehr über Blaylocks Leben vor seiner Zeit in Afrika zutage fördern«, sagte Remi.
»Daran arbeite ich bereits«, sagte Selma. »Ich habe mich deshalb an eine alte Freundin gewandt, die dabei behilflich sein könnte.«
Wendy kam aus dem Archivraum, hob lächelnd einen Finger, um anzudeuten, sie sollten sich noch einen kurzen Moment gedulden, und setzte sich an eine der Workstations. Einige Minuten ließ sie die Finger über die Tastatur fliegen, dann lehnte sie sich zurück und meinte: »Es ist alles auf Ihrem Schirm.«
Mit Hilfe der Fernbedienung rief Selma die betreffende Grafik auf.
März 1866: Die Shenandoah wird an den Sultan von Sansibar verkauft.
November 1866: Die Shenandoah trifft in Sansibar ein und wird in El Majidi umbenannt.
November 1866 – Oktober 1870: Die El Majidi liegt die meiste Zeit vor Anker und unternimmt nur gelegentliche Handelsfahrten.
Oktober 1870: Der erste Sultan stirbt. Sein Bruder übernimmt die Herrschaft.
Oktober 1870 – April 1872: Die El Majidi liegt angeblich vor Anker.
April 1872: Ein Orkan besch ä digt die El Majidi. Sie wird zur Reparatur nach Bombay geschickt.
Juli 1872: Die El Majidi sinkt angeblich während ihrer Fahrt nach Sansibar.
Juli 1872 – November 1879: Sechs Jahre keinerlei Aufzeichnungen. Schicksal unbekannt.
November 1879: Unterwegs nach Bombay sinkt die El Majidi angeblich in der Nähe der Insel Socotra.
Sam sagte: »Wir haben zwei anscheinend zuverlässige Aussagen über ihren Untergang, die einander widersprechen, und sechs Jahre ohne irgendeinen Hinweis auf das Schicksal der El Majidi. Selma, mit welchem Datum beginnt Blaylocks Tagebuch?«
»Soweit wir erkennen können mit dem August 1872, etwa fünf Monate nach seiner Ankunft in Afrika. Auf unserer Zeitlinie ist das ein Monat nach dem Untergang der El Majidi und bevor die sechs ereignislosen Jahre begonnen haben.«
»Sechs Jahre«, wiederholte Remi. »Wo war sie die ganze Zeit?«
Mexico City, Mexiko
Fünfzehnhundert Meilen weiter südlich saß Itzli Rivera im Vorzimmer von Präsident Garzas Büro und wartete seit einer Stunde darauf, hereingerufen zu werden.
Garzas Chefassistentin, eine rehäugige junge Frau Anfang zwanzig mit glänzendem schwarzem Haar und einer Eieruhr-Figur, saß an ihrem Schreibtisch und arbeitete, indem sie mit dem Zeigefinger über die Tastatur ihres Computers wanderte und gelegentlich eine Taste drückte, nachdem sie fündig geworden war. Ihre Miene zeigte einen Ausdruck, der eine Mischung aus angestrengter Konzentration und vollständiger Verwirrtheit war. Als versuche sie, ein Sudoku-Rätsel der höchsten
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