Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Einen der beiden Männer kannte Johann – es war niemand anderers als Simon Hardefust, der neue Eigentümer von Burg Bergerhausen. Zu seiner Rechten saß ein gut aussehender Bursche, der sich nach allen Seiten umschaute. Als seine Blicke auf Johann trafen, spannte er sich erkennbar an.
An Simons anderer Seite saß eine Frau, die ein wenig ängstlich umherblickte. Sie gehörte noch weniger hierher als die beiden Männer. Schon ihre vornehme Kleidung verriet, dass sie zur gehobenen Schicht gehörte. Ihr Umhang war mit Samt abgesetzt, ihr Gebende aus Seide, die Schuhe aus feinstem Leder. Johann stellte fest, dass die drei mit einem Fuhrwerk oder zu Pferde gekommen sein mussten, diese Schuhe hatten keinen Straßenschmutz berührt.
Simon und die Frau steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, dann schauten sie beide zu ihm hin. Die Frau starrte Johann an, in ihrem Gesicht arbeitete es, als müsste sie um Fassung ringen. Sie mochte um die dreißig sein, also in seinem Alter, und abgesehen von der feinen Kleidung war ihr Äußeres eher farblos. Sie war leidlich hübsch, mit feinen, schwermütigen Gesichtszügen und leicht umschatteten Augen.
Er ging zu dem Tisch. »Bier, wohledle Herren?«, fragte er höflich. Er hielt den Blick auf Simon Hardefust gerichtet. Dieser nickte ein wenig unbehaglich.
»Auch etwas zu essen?«
»Was gibt es denn?«, fragte Simons Begleiter.
»Salzhering und Brot.«
»Ich nehme beides.«
»Und die Dame?«, fragte Johann, an die Frau gewandt.
Sie sagte nichts, sondern schluckte nur heftig. Ihre Augen schwammen in Tränen. »Johann«, sagte sie leise. »Ich bin’s. Ursel.«
Verständnislos erwiderte er ihren Blick. Sollte er eine Ursel kennen? Falls ja, musste er sehr betrunken gewesen sein, denn er konnte sich nicht erinnern. Doch dann stellte er den nötigen Zusammenhang her. Sie war Simons Schwester! Und er kannte sie tatsächlich, auch wenn die letzte Begegnung an die zwanzig Jahre her sein durfte. Sie hatten als Kinder in derselben Kölner Straße gewohnt. Nachdem er mit seinen Eltern nach Burg Bergerhausen gezogen war, hatte er sie nicht wiedergesehen. Nein, das stimmte nicht, sie waren einander in den paar Jahren darauf doch noch begegnet, als er schon Knappe auf der Burg von Veits Vater gewesen war. Zwei Mal war sie mit ihren Eltern zu den Turnieren gekommen, die dort veranstaltet worden waren. Ihr kleiner Bruder Simon war damals auch mitgebracht worden, ein blondlockiger Knirps, der kaum aus den Windeln war. Ursel Hardefust … Sie schien sich weit besser an ihn zu erinnern als er sich an sie. Die Hardefusts hatten früher in seiner Kindheit nur ein paar Häuser weiter gewohnt, in demselben Haus in der Rheingasse, das noch heute der Stammsitz der Familie war. Als Kinder hatten sie hin und wieder gemeinsam mit etlichen anderen Gleichaltrigen auf der Straße gespielt, Johann entsann sich, dass Ursel an ihm geklebt hatte wie eine Klette. Als sein Vater damals vom Erzbischof für seine Verdienste in der Schlacht von 1239 das Erblehen bekommen hatte und der Umzug auf die Burg anstand, hatte Ursel einen Weinkrampf erlitten. Sie war damals felsenfest davon überzeugt gewesen, sie und Johann seien füreinander bestimmt. Johann erinnerte sich plötzlich wieder an diese Szene, und auch daran, wie peinlich es ihm gewesen war, als sie im Beisein der anderen Kinder erklärt hatte, auf ihn warten zu wollen, bis er einst als Ritter zu ihr zurückkäme, um sie als Gemahlin heimzuholen. Davon war sie offenbar auch in den nachfolgenden Jahren nicht abgerückt, denn anlässlich der beiden Turniere, auf denen er sie wiedergetroffen hatte, war ihre glühende Bewunderung über die Köpfe aller Zuschauer hinweg zu spüren gewesen. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, musste sie – ebenso wie er selbst damals – ungefähr zwölf oder dreizehn gewesen sein, auf keinen Fall älter als vierzehn. Gesprochen hatten sie bei diesen Gelegenheiten allerdings nicht miteinander, Johann war ihr aus dem Weg gegangen, und anschließend hatte er sie schlicht vergessen.
Sie ihn jedoch ganz offensichtlich nicht.
»Johann, ich habe gehört, dass du aus dem Krieg zurückgekehrt bist und jetzt wieder in Köln lebst. Es tut mir furchtbar leid, was dir widerfahren ist!«
Er ging davon aus, dass sie damit die Misshandlungen in der Haft und das Todesurteil ansprach, doch anscheinend wollte sie auf etwas anderes hinaus. »Es ist so schrecklich, dass du alles verloren hast!«
Noch deutlicher wurde es, als Simon
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