Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
»Glaubst du vielleicht, ich will auf ewig das Leben eines Brauers führen? Ich will mein Erbe zurück. Auch Madlen geht es einzig und allein um ihr Erbe. Sie hilft mir, und ich helfe ihr, so lange, bis wir beide haben, was wir wollen. Dass ich sie begehre, streite ich nicht ab, aber das hängt allein damit zusammen, dass ich zu selten bei einer Frau liegen kann, es bedeutet nichts. Mehr ist da nicht, und falls du irgendwo Anzeichen für das Gegenteil zu sehen glaubst, bist du mit Blindheit geschlagen.« Betroffen über seine gedankenlose Bemerkung hielt er inne. »Verzeih.«
Doch Veit lachte nur.
Wie üblich öffneten sie die Schänke in der Stunde vor dem Vesperläuten. Die ersten Gäste ließen nicht lange auf sich warten – Händler, die auf dem Neumarkt ihre Geschäfte gemacht hatten, Landarbeiter auf dem Heimweg, Tagelöhner und Knechte aus den umliegenden Werkstätten. Bald erfüllte lärmender Trubel das Goldene Fass . Johann zapfte ein Bier nach dem anderen. Irmla schob sich zwischen den eng stehenden Tischen und Bänken hindurch und brachte die vollen Becher zu den Zechern, und Caspar hielt sich im Kielwasser ihres ausladenden Hinterns, um das Kassieren zu übernehmen. Zwischendurch eilte Irmla in die Vorratskammer, um die Salzheringe und das Brot zu holen. Die Leute aßen und tranken und lachten, die Stimmung war ausgelassen. Die laue Frühlingsluft, die durch die offenen Fenster hereinwehte, verlockte die Anwesenden zum Bleiben und die Vorbeigehenden zum Hereinkommen. Es war einer dieser Abende, die ordentlich Bares einbrachten. Johann ließ sich nach einer Weile von Caspar die Münzen aushändigen und verstaute sie in der Geldkatze an seinem Gürtel. Er bemerkte wohl den misstrauischen Ausdruck in den Augen des Knechts, doch das kümmerte ihn nicht weiter. Er nahm das Geld nicht etwa an sich, weil er glaubte, der Bursche wolle etwas davon für sich selbst abzweigen, sondern weil er der Herr im Haus war und genau das gegenüber dem Gesinde bei jeder Gelegenheit herauskehrte. Nicht aus Herrschsucht, sondern im Interesse Madlens. Solange er mit Befehlen um sich warf, musste sie es nicht selbst tun. Befehlsgewalt bedeutete nichts anderes als Verantwortung, und die konnte, wenn man auf Dauer zu viel davon tragen musste, zu einer Bürde werden. Es tat ihr gut, sich einmal davon auszuruhen. Sie schlief immer noch, er hatte vorhin im Haus nach dem Rechten gesehen, Cuntz hatte nur nach oben gedeutet und sich den Finger auf die Lippen gelegt.
Irmla kam mit einem Tablett voller leerer Becher und zog mit frisch gefüllten wieder ab. Sie schwitzte über das ganze Gesicht, ihr feistes Kinn zitterte vor Anstrengung. Als sie das nächste Mal auftragen wollte, forderte er sie auf, das Zapfen zu übernehmen.
»Ich bediene die Leute für eine Weile«, erklärte er.
Sie zuckte die Achseln, als sei es ihr gleichgültig, doch er bemerkte die dankbare Erleichterung, die über ihr Gesicht huschte.
Er nahm die nächsten Bestellungen entgegen und ging dann in den Keller, um ein weiteres Fass Bier zu holen. Als er es auf den Schanktisch wuchtete, sah er aus den Augenwinkeln in der offenen Tür zur Gasse ein bekanntes Gesicht, doch als er genauer hinschaute, war dort niemand mehr. Eilig ging er um den Schanktisch herum, aber der Weg zur Tür war versperrt, mehrere Zecher waren aufgestanden, um zu gehen, und als er endlich auf die Gasse hinaustreten konnte, war derjenige, den er zu sehen geglaubt hatte, nirgends zu erblicken. Mittlerweile war er unsicher, vielleicht hatte er sich getäuscht. Viele Männer trugen Vollbart, Drago war bei Weitem nicht der Einzige, der so herumlief. Gleichwohl war es durchaus möglich, dass er es gewesen war. Es gehörte zu Dragos speziellen Fähigkeiten, Leute auszuspähen, ohne sich dabei selbst blicken zu lassen. Möglicherweise hatte ihn die Neugier geplagt, was sich aus seinem misslungenen Verrat entwickelt hatte. Nicht auszuschließen, dass es ihn ziemlich fuchste, Johann bei bester Gesundheit vorzufinden. Oder er lachte sich ins Fäustchen, weil sein ehemaliger Kumpan in einer Bierschänke arbeitete, vielleicht fand Drago das sogar als Rache wesentlich angemessener als die Prügel, die man Johann in der Hacht verpasst hatte.
Als er von der Gasse in die Schänke zurückkam, sah er, dass zwischenzeitlich neue Gäste das Goldene Fass betreten hatten. Sie hatten an dem Tisch Platz genommen, den die eben aufgebrochenen Zecher geräumt hatten. Es handelte sich um zwei Männer und eine Frau.
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