Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
ringend, doch seine Bemerkung ging in Agnes’ neuerlichem Gezeter unter.
»Das wirst du büßen! Höchste Zeit, dass bei dir der Scharfrichter seine Arbeit zu Ende bringt! Oder ein anderer, der mit Gottes Segen bereit ist, solches Gelichter wie dich vom Angesicht der Erde zu tilgen!«
Sie raffte den Einkaufskorb an sich und stapfte ins Haus. Die Tür krachte hinter ihr zu. Madlen seufzte beklommen, doch es überwog ihre Erleichterung darüber, dass es vorbei war – zumindest für diesmal.
Sie wandte sich zu Johann um. »Lass uns wieder hineingehen, sonst ist meine Stunde schon vorbei, bevor sie angefangen hat.«
Madlen blickte mit gelindem Schrecken auf die Buchstaben, die Johann auf die Tafel geschrieben hatte.
»Das Ganze nennt man Alphabet«, erklärte er. »Es sind die Buchstaben, die man zum Schreiben braucht.«
Im Gegensatz zu den Ziffern sahen die Buchstaben deutlich komplizierter aus, eine verwirrende Folge fremdartig anmutender Symbole, dreiundzwanzig an der Zahl. Johann meinte sogar, dass es für viele Worte bestimmte Abkürzungen gebe, die noch hinzukämen, aber damit müsse sie sich nicht befassen, das sei eher für Gelehrte wichtig.
»Man muss sie einfach auswendig lernen«, sagte er lapidar. »Mit einem Buchstaben allein kann man keine Wörter bilden.« Diesmal saß er nicht so dicht bei ihr wie beim letzten Mal, es kam Madlen so vor, als meide er ihre Nähe. Überhaupt schien er an diesem Tag keine besonders gute Laune zu haben. Ob es an dem Zwischenfall mit Ludwig lag? Das Ganze hatte Johann ersichtlich mitgenommen, was Madlen für einen Mann, der im Krieg gewesen war und sicherlich Hunderte von Männern getötet hatte, ungewöhnlich fand. Oder ob seine gedrückte Stimmung eher mit dem Brief der Frau zu tun hatte? So wie auch sein nächtlicher Ausflug vermutlich damit zusammenhing. Johann war nicht lange weggeblieben, vielleicht eine Stunde. Doch in einer Stunde konnte ein Mann viel unternehmen.
Madlen deutete missvernügt auf den ersten Buchstaben. »Was ist das für einer?«
»Ein A . Es kommt in vielen Wörtern vor. Zum Beispiel in deinem Namen, und in meinem auch.«
»Ich verstehe«, behauptete sie. Sie verstand nicht das Geringste. Doch so schnell ließ sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Sie musste immer nur an eines denken, wenn ihr Mut nachließ: Was Jacop geschafft hatte, konnte sie schon lange. Sie war auf keinen Fall dümmer als er.
»Zeig mir, wie man meinen Namen schreibt.«
Johann holte zum Üben seine eigene Tafel hervor. Er schrieb Madlens Namen auf, einen Buchstaben nach dem anderen, alle sorgfältig und sauber ausgeführt. Madlen verglich sie mit denen, die er auf ihre Tafel geschrieben hatte. »Sag mir, wie sie heißen«, verlangte sie.
»Der erste Buchstabe ist ein Em .
»Müsste ich dann nicht Emadlen heißen?«
Johann furchte irritiert die Stirn, dann grinste er leicht, was ihn überraschend jung aussehen ließ und es Madlen erschwerte, sich lediglich auf die Tafel zu konzentrieren.
»Ich bin ein schlechter Lehrer«, meinte er. »Ich hätte dir das vorher erklären müssen. Für sich allein werden nämlich die meisten Buchstaben anders ausgesprochen als im Wort. Das macht es für dich sicher nicht einfacher.«
Nein, das tat es eindeutig nicht.
»Erklär es mir an einem Beispiel.« Sie gab sich forsch, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Stimme ein wenig verzagt klang. Sie meinte, in Johanns Blick eine Regung von Mitleid wahrzunehmen, was auf der Stelle ihren Eifer wieder anstachelte.
»Bleiben wir bei deinem Namen. Vorn steht ein Em , so nennt man es beim Buchstabieren, um es besser hören zu können, aber im Wort wird es Mmm ausgesprochen.«
Sie nickte, das hatte sie verstanden. So schlimm war es nicht.
»Dann kommt das A , das hatten wir schon. Beim Buchstabieren wird es lang gezogen ausgesprochen. Aber im Wort benutzt man es manchmal als langen, manchmal als kurzen Laut. Deshalb heißt es Madlen und nicht M aaa dlen.«
»Und Johann statt Joh aaa nn.«
»Genau. Weißt du ein Wort, in welchem ein langes A vorkommt?«
Sie musste nicht groß nachdenken. »Abend. Nase. Haben.«
»Sehr gut«, lobte er, und Madlen strahlte ihn an, was dazu führte, dass er noch weiter von ihr abrückte, was sie auf unbestimmte Weise erboste.
»Nehmen wir nun den dritten Buchstaben deines Namens. Das ist ein De . Gesprochen wird es im Wort aber als D , ohne das E daran, also Ma d len.«
»Warum sagt man beim Buchstabieren Em , aber De ? Warum nicht Ed ? Das ist
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