Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Johanns Blicke auf sich ruhen. Auch Caspar beobachtete sie immer wieder verstohlen, ihm war nicht entgangen, dass sie sich anders benahm als sonst.
Wenig später läuteten die Abendglocken, es wurden die letzten Bestellungen angenommen. Die Gäste durften danach noch austrinken, doch wer sich allzu lange an seinem letzten Becher festhielt oder noch auf einen weiteren Schluck drängte, wurde aufgefordert, am nächsten Tag wiederzukommen. Ein Mann und seine Frau, die eigene Trinkkrüge dabeihatten, ließen sich für den Heimweg Bier einfüllen, bevor sie unter launigen Abschiedsgrüßen davonzogen. Johann nahm sich des betrunkenen Zechers an, der häufig ins Goldene Fass kam, um dort seinen Tag zu beschließen. Meist begoss er sich ausgiebig woanders die Nase, bevor er bei ihnen einkehrte. Während Johann ihn vor die Tür verfrachtete, erinnerte sich Madlen unvermittelt daran, dass der Mann an jenem Abend im letzten Jahr auch hier gewesen war. Damals hatte Konrad ihn hinausschaffen müssen.
Der Gedanke an ihren toten Mann schnürte Madlen die Kehle zu. Die Schamgefühle, die ihr schon die ganze Zeit zugesetzt hatten, wurden übermächtig, plötzlich musste sie mit den Tränen kämpfen. Sie hatte sich schändlich benommen, so verworfen und unzüchtig, wie sie es sich vorher selbst in ihren sündhaftesten Träumen nicht hatte vorstellen können. Wenn sie früher mit Konrad das Bett geteilt hatte, war sie wahrhaftig kein Kind von Traurigkeit gewesen, sie hatte jedes Beisammensein mit ihm genossen. Doch sie hatte dabei die Lust als wunderbaren Teil ihrer großen Liebe zu ihm empfunden. Sie waren vollkommen ineinander aufgegangen, hatten einander angehört mit Leib und Seele.
Das mit Johann war hingegen auf eine rein körperliche Ebene beschränkt, es war nichts weiter gewesen als enthemmte, schiere Lust um ihrer selbst willen. Sie hatte sich diese Lust nehmen wollen, wie etwas, das ihr Körper brauchte. So wie man essen wollte, weil man ausgehungert war. Und Johann hatte dasselbe gewollt wie sie. Sie hatten sich paaren wollen wie zwei Tiere, von nichts weiter dazu getrieben als von der Hitze in ihrem Blut.
Als die letzten Gäste endlich gegangen waren und Caspar die Schänke aufräumte, ging Madlen hinaus auf den Hof. Sie streichelte gedankenverloren den Hund. Der alte, blinde Spitz drängte seine feuchte Nase gegen ihre Hand und winselte leise. Madlen hörte Johanns Schritte und wollte sich aufrichten, doch er ging neben ihr in die Hocke und zauste dem Hund ebenfalls das Fell.
»Ich muss dich um Verzeihung bitten«, sagte er leise. »Es ist mit mir durchgegangen. Mir ist klar, dass du es gar nicht wolltest, jedenfalls nicht mit dem Herzen. Es ist im Eifer des Augenblicks passiert.« Er hielt inne und verbesserte sich: »Oder vielmehr beinahe passiert. Am besten vergessen wir es einfach. Ich verspreche dir, dass es nicht mehr vorkommt.«
Sie nickte nur und fragte sich, warum sie auf einmal einen Kloß in der Kehle hatte.
»Außerdem schulde ich dir eine Erklärung. Der Name des Mannes lautet Wendel Hardefust. Die Lehnsburg, die früher meinem Vater gehörte und mit seinem Tod in mein Eigentum überging, fiel auf Veranlassung des Erzbischofs an Wendels Sohn Simon.«
»Man hat dir dein Erbe weggenommen?«
»Wendel Hardefust hat reichlich dafür gezahlt. Der Erzbischof brauchte dringend Geld. Außerdem war ich lange fort. Kein Mensch rechnete noch mit meiner Heimkehr.«
»Aber du willst dich nicht damit abfinden«, stellte Madlen fest. »Zumindest denkt dieser Hardefust das. Sonst hätte er nicht so einen Wind darum gemacht, dass du auf seinem Land gesehen wurdest.«
»Streng genommen ist es das Land seines Sohnes, aber das ist für ihn dasselbe. Sein Machthunger ist grenzenlos, er hofft, es mithilfe des Erzbischofs noch weit zu bringen. Als Konrad von Hochstaden letztes Jahr scharenweise die Schöffen absetzte und einkerkerte, hätte er das ohne Wendels Geld nicht geschafft. Es ist ein stillschweigendes Abkommen, das ihnen beiden nützt. Der Erzbischof festigt seine Macht über die Stadt. Und Hardefust entledigt sich nach und nach aller Richerzechen- und Ratsmitglieder, die seinen Einfluss schmälern. Zweifellos träumt er davon, eines Tages der Einzige zu sein, der in Köln das Sagen hat. So reich und mächtig, dass nur noch der Erzbischof über ihm steht – und vielleicht nicht einmal mehr der.«
Madlen, die stumm zugehört hatte, richtete sich auf. Johann tat es ihr gleich und blickte auf sie hinunter. Es
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