Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
als beifällig vorgekommen, doch Veits Miene zeigte nichts außer freundlicher Gelassenheit.
»Du hast selbst gesagt, ich solle die Finger von ihr lassen«, hob Johann hervor. »Nichts anderes habe ich mir vorgenommen.«
»Gewiss. Ich sagte doch, dass es vernünftig war.«
»Ich glaube, ich gehe jetzt zu Bett«, verkündete Johann.
»Träum was Schönes«, meinte Veit lächelnd.
Dafür hätte Johann erst einmal schlafen müssen. Nachdem er sich ausgezogen und ins Bett gelegt hatte, starrte er an die Decke und ließ die Szene auf der Tenne vor seinem inneren Auge vorüberziehen, genüsslich alle Einzelheiten nachempfindend. Er lauschte nach nebenan, wo regelmäßige, tiefe Atemzüge verrieten, dass Madlen schlief. Dann tat er das, was Männer immer tun, wenn sie einsam sind und von schmerzhaften Begierden erfüllt. Er bemühte sich, leise zu sein und nicht zu stöhnen, eines der ersten Dinge, die ein junger Mann lernen musste, wenn er mit einem Heer in den Krieg zog. Im Feldlager waren die Wände der Zelte dünn und die anderen meist nur einen Atemzug entfernt, man war nie wirklich allein.
Abrupt hielt er inne, denn er hörte ein Rascheln von nebenan. Sie war aufgewacht. Er vernahm ihre Stimme, kaum mehr als ein Murmeln, aber er verstand sie trotzdem.
»Heilige Ursula, hilf mir, wieder einzuschlafen. Und ich bitte dich nochmals, gib mir die Kraft, nicht ständig wütend oder traurig zu werden. Hilf mir, meine lüsternen Gedanken zu besiegen. Lass mich weise und klug sein und die dämlichen Buchstaben schneller lernen. A-em-e-en.«
Sie hatte das Amen buchstabiert, Johann unterdrückte ein Glucksen. Dann hielt er die Luft an, denn sie betete weiter, diesmal zu einem anderen Heiligen.
»Heiliger Petrus, lass den Sud von heute nicht zu bitter werden, denn ich möchte um Johanns willen, dass er gelingt, weil Johann ein tüchtiger Brauer ist und gute Arbeit leistet. Lass dafür die Sache mit dem Blech noch etwas dauern, denn es ist sehr teuer, und kein Mensch hat je verkohltes Malz zu Bier gemacht. Lass ihn lieber den Rauchfang noch fertigbauen, bevor er weggeht und ich wieder allein dastehe.« Dann fing sie unvermittelt an zu weinen. Johann richtete sich auf, drauf und dran, aufzustehen und zu ihr hinüberzugehen, doch dann hörte er sie unter leisem Schluchzen weiterbeten.
»Hilf mir, dass ich Konrad nicht vergesse. Er war mein Leben. Ich vermisse ihn so, es tut immer noch schrecklich weh, und ich habe Angst, dass ich mich eines Tages nicht mehr an sein Gesicht erinnern kann. Dann habe ich ihn ein zweites Mal verloren, wie soll ich das ertragen? Bitte hilf mir, heiliger Petrus, damit ich sein Bild weiter in meinem Herzen tragen kann!«
Johann sank langsam auf die Matratze zurück, ihr Weinen im Ohr. Seine Erregung war schlagartig erloschen, er fühlte sich erschöpft und ausgehöhlt. Als endlich der Schlaf kam, war es wie eine Erlösung.
Er war auf dem Schlachtfeld von Al-Mansura und watete durch Ströme von Blut, schlug mit dem Schwert um sich, er erwehrte sich der auf ihn eindringenden Kämpfer, spaltete Köpfe, spießte Leiber auf. Rechts und links lagen die Toten und Sterbenden, das Kreischen und Stöhnen übertönte den Wind, der Hitze und Sand über die blutigen Haufen wehte. Eine Hand reckte sich aus dem Gewirr zerhackter Leichen, griff nach seinem Knöchel. Er zog daran, holte einen Mann zwischen all den Toten hervor, wollte ihm aufhelfen, vielleicht war es einer der seinen. Doch es war ein Feind, der mit seinem Krummsäbel nach ihm hieb. Johann schlug ihm die Hand ab, und der Gegner brach zusammen, wimmernd wie ein Kind. Es war ein Kind, er erkannte es, als er die Kufiya zur Seite zog, die der Junge sich zum Schutz gegen den Wind vors Gesicht gelegt hatte. Zwölf, vielleicht dreizehn, älter war er nicht. Er starb vor Johanns Augen. Andere kamen, diesmal richtige Männer, triefend vom Blut der Gefallenen, genau wie er selbst. Er hatte sein Schwert schon vorher weggeworfen, fiel mit ausgebreiteten Armen und gesenktem Kopf vor ihnen auf die Knie. Tötet mich, dachte er. Es soll vorbei sein. Doch den Gefallen taten sie ihm nicht, sie schleppten ihn mit anderen Gefangenen in die Stadt, wo der Sultan über sein weiteres Schicksal entschied. Er lag im Kerker, überall um sich herum die Ritter des Kreuzes, einige sterbend, die meisten tot, verhungert, verdurstet, verreckt. Er schrie und bettelte, habt Erbarmen, bringt es zu Ende, doch niemand hörte es, nicht einmal er selbst, denn er war zu schwach, seine
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