Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
nicht verstanden habe. Dann bist du davongetrabt, zusammen mit Veit. Du hast sehr glücklich ausgesehen.« Die Begine holte Luft. »Ich habe danach immer wieder überlegt, was du wohl gerufen hast. Mutter und Vater hatten es auch nicht verstanden, aber sie meinten, so wichtig könne es nicht gewesen sein, vermutlich einfach nur ein beliebiger Abschiedsgruß. Später kam dann die Zeit, als ich … Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Aber jetzt ist alles wieder da, jeder einzige Augenblick. Und wieder frage ich mich, was du damals, bevor du weggeritten bist, wohl zu mir gesagt haben magst.«
»Ich weiß es noch. Ich sagte: Nichts wird uns je trennen, Schwester, spätestens zu deiner Hochzeit bin ich wieder zurück und bringe dir Blumen mit. «
Blithildis lächelte angestrengt. In ihren Augen standen Tränen. »Ich hätte mir denken können, dass es etwas in dieser Art war.«
Johann sah sie unverwandt an. Sein Gesicht war wie ein offenes Buch, ein seltener Anblick für Madlen, die daran gewöhnt war, dass er seine Gefühle nur selten zeigte. Nun offenbarte sich in seinen Zügen alles, was er empfand. Fassungslose Freude, aber auch eine Spur von dem, was ihn schon lange umtrieb – Trauer über die verlorene Zeit, Wut auf jene, die daran schuld waren. Vor allem aber seine tiefe, unverbrüchliche Zuneigung zu seiner Schwester. Dies war der wahre Johann, jener Teil von ihm, den er sonst immer so sorgfältig verborgen hielt. Im Grunde seines Herzens war er liebevoll, großmütig und gütig, ein Mensch, dem man blind sein Leben anvertrauen konnte und der für jene, die ihm angehörten, alles gab. Madlen musste gegen den Drang ankämpfen, zu ihm hinzulaufen und die Arme um ihn zu schlingen, denn in diesem Moment quoll ihr das Herz förmlich über vor Liebe.
Anscheinend waren auch ihr die Gefühle anzusehen, denn Blithildis betrachtete sie forschend, und dann nickte sie leicht, als ob sie mit dem, was sie gerade bemerkt hatte, zufrieden sei. Sie wandte sich zu ihrer Meisterin um. »Ich bleibe eine Weile hier. Fahrt ruhig wieder zurück, Johann kann mich später heimbringen.« Dann sagte sie zu ihrem Bruder: »Wollen wir hineingehen? Ich glaube, wir haben uns viel zu erzählen.«
Tags darauf, am See bei der Wasserburg nahe Kerpen
Johann wartete geduldig am Waldrand und beobachtete das große Tor in der Ringmauer, und als es sich wie erwartet öffnete und ein einzelner Reiter über den Wall ans andere Seeufer galoppiert kam, machte er sich bereit. An der Stelle, wo er sich versteckt hielt, wurde der Pfad so schmal, dass Sewolt das Pferd Schritt gehen lassen musste, und genau in dem Moment, als der Burgvogt dieses Wegstück passierte, sprang Johann hinter dem Baum hervor, hinter dem er sich verborgen gehalten hatte. Sewolt erkannte ihn sofort und hieb dem Pferd die Fersen in die Flanken, doch Johann hatte ihn bereits erreicht. Er fiel ihm in die Zügel, packte ihn am Arm und riss ihn aus dem Sattel. Das Pferd, erschreckt durch das unerwartete Geschehen, warf wiehernd den Kopf hoch und trabte ein Stück weit in den Wald, bis es in einiger Entfernung unruhig schnaubend zwischen den Bäumen stehen blieb.
Johann packte Sewolt beim Schopf, zerrte ihn hoch und stieß ihn rücklings gegen den Baum. Seine Faust krachte in Sewolts Rippen, und gleich darauf schlug er ihn ein weiteres Mal, diesmal noch härter. Hätte er seine Rachsucht nicht mit aller Macht im Zaum gehalten, hätte er den Mann bis zur Ohnmacht geprügelt. Immer wieder sah er Berni vor sich. Das kindliche, blutleere Gesicht. Der Haarwirbel über der Stirn. Der herzzerreißende Augenblick, als Bernis Mutter sich über ihr Kind auf der Totenbahre gebeugt und diesen Wirbel geküsst hatte, bevor sie weinend in den Armen ihres Mannes zusammengebrochen war.
Johann riss Sewolt am Wams zu sich heran und stieß ihn abermals heftig gegen den Stamm der Eiche. »Du hättest ihn ebenso gut selbst umbringen können«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Er war erst dreizehn Jahre alt.«
Er erklärte Sewolt gar nicht erst, wen er meinte, der Burgvogt wusste es ganz genau.
»Wendel Hardefust hat mich gezwungen, dir den falschen Tag zu sagen«, winselte er. »Er hätte mich getötet, wenn ich es nicht getan hätte!«
»Das setzt voraus, dass du zu ihm gelaufen bist und ihm hinterbracht hast, worüber wir in der Schmierstraße geredet haben. Du hast ihm verraten, dass du für mich die Augen offen halten solltest.«
»Jobst hat es mir angemerkt!« Sewolt faltete in
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