Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Plünderungen und Raub hatten so manchen die gesamte Habe oder sogar das Dach über dem Kopf gekostet.
Der Erzbischof hatte drakonische Strafen verhängt, drei Männer der Richerzeche waren auf dem Heumarkt enthauptet worden. Doch das hatte die Toten nicht lebendig und das Blutbad nicht ungeschehen gemacht. Niemand aus Madlens Haushalt war zur Hinrichtung gegangen, an dem Tag hatten sie Berni unter die Erde gebracht.
Madlen betete an seinem Grab und gedachte seiner, indem sie eine brennende Tagleuchte auf den niedrigen Erdhügel stellte. Anschließend verfuhr sie ebenso an Konrads Grab. Sie wollte dort Zwiesprache mit ihm halten, so wie sie es das ganze letzte Jahr über getan hatte, wollte sich vorstellen, wie er mit ihr redete, sie tröstete, bei ihr war. Doch diesmal war es anders, es schien, als habe er sich in ihren Erinnerungen von ihr entfernt. Er war so weit weg, dass sie von Verzweiflung übermannt wurde. Nicht einmal das war ihr geblieben! Alle hatten sie verlassen!
Leise schluchzend schloss sie die Augen und beschwor sein Bild herauf, flehte alle Heiligen an, ihr dabei zu helfen, und endlich gelang es ihr. Sie sah sein Gesicht vor sich, so jung und schön und glücklich, voller Liebe und Zärtlichkeit. Die Dankbarkeit ließ ihr das Herz überströmen. Er war wieder bei ihr, sie hatte ihn nicht verloren! Das, was sie einst verbunden hatte, diese niemals endende Liebe, erfüllte sie immer noch. Im Geiste streckte sie die Hand nach ihm aus, spürte der herzerwärmenden Fröhlichkeit nach, die sein Wesen bestimmt hatte. Einen Teil davon fand sie wieder, aber da war auch ein tiefer Ernst. Er schien sie anzusehen und ihr etwas sagen zu wollen. Sie lauschte in sich hinein, meinte einen schwachen Widerhall zu spüren.
Nimm das Glück in deine Hände.
An irgendeinem Sommerabend hatte er das zu ihr gesagt. Sie hatten gerade den Ausschank geschlossen und waren noch für eine Weile dort bei Kerzenlicht sitzen geblieben, nur er und sie. In seinen Augen hatte seine ganze Liebe gestanden. Er hatte ihre Hände genommen und sie um sein Gesicht gelegt, und dann diese Worte zu ihr gesagt.
Nimm das Glück in deine Hände.
Madlen blickte auf sein Grab und atmete tief durch. Nach einem bewegten Dankesgebet bekreuzigte sie sich und machte sich auf den Heimweg.
Nachdem sie am Abend die Schänke geschlossen und aufgeräumt hatten, beeilte Madlen sich, ins Haus zu kommen. Sie wollte vor Johann dort sein. Ohne zu zögern, ging sie nach oben in die Kammer, in der Veit sein Krankenlager hatte und wo neuerdings auch Johann schlief.
Madlen legte prüfend die Hand auf die Stirn des Kranken. Es fühlte sich immer noch viel zu heiß an, seit Tagen hatte er Fieber und verbrachte die meiste Zeit im Dämmerschlaf. Manchmal murmelte er vor sich hin, ohne dass man ihn verstand. Zwar war der Zustand der Wunde an seinem Armstumpf nicht schlimmer geworden, Madlen hatte sogar den Eindruck, dass die Salbenverbände, die sie täglich wechselte, allmählich gegen die Entzündung halfen, doch das Fieber wollte nicht aus seinem Körper weichen. Irmla flößte ihm mehrmals täglich warmes, mit viel Honig gesüßtes Bier ein, ein besonderer Sud, in dem Madlen Weidenrinde und Mohnsamen mitgekocht hatte. Veit schlief davon viel und tief, was nach Lage der Dinge sicher das Beste war. Juliana hatte ihr schon oft gesagt, dass Schlaf die beste Medizin sei. Juliana … Sie war ebenfalls krank, ein schweres Fieber hatte sie an Ostern niedergestreckt. Madlen war nach Bernis Beerdigung zum Beginenkonvent gegangen, in dem verzweifelten Bedürfnis, mit einem ihr vertrauten Menschen über alles zu reden, doch Meisterin Sybilla hatte sie fortgeschickt, Juliana sei zu krank für Besuch. Zu Madlens drückenden Sorgen war damit eine weitere hinzugekommen.
Eine dieser Sorgen wollte sie jedoch noch an diesem Tag aus der Welt schaffen. Entschlossen nahm sie die Nachtleuchte und richtete sich auf, als sie Johanns Schritte auf der Stiege hörte, und als er gleich darauf in der offenen Tür auftauchte, ging sie geradewegs auf ihn zu.
»Er schläft ganz ruhig«, sagte sie sachlich. »Ich will mit dir reden. Kommst du mit in unsere Schlafkammer?«
Sie hatte bewusst unsere gesagt, denn es war ein Teil dessen, was sie ihm mitzuteilen hatte.
Ein flüchtiger Ausdruck von Sorge und Resignation schien aus seinem Blick zu sprechen, doch gleich darauf wurde seine Miene undurchdringlich, er nickte kurz. Sie ging voraus, wartete, bis er die Kammer betreten hatte und zog dann
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