Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Umrisse von Balken und Truhen zu erkennen, obwohl das Zimmer so klein war. Die Base hatte ihnen nur eine einzige Schlafkammer abtreten können, sie hatte ihre alte Mutter in ihre eigene Kammer geholt und dort auch für Ursel ein Lager hergerichtet.
»Simon?«, flüsterte er.
Die lauten Atemzüge von Jobst verstummten abrupt, und Wendel sah, wie sein Gefolgsmann sich aufsetzte.
»Was ist?«, kam es murmelnd.
»Nichts«, sagte Wendel. »Ich habe nur nach Simon gesehen.« Das klang, wie er sofort fand, zu lächerlich, um es für sich allein stehen zu lassen, also fügte er eine Lüge hinzu, die es glaubhafter machte. »Mir war, als hätte ich ihn durchs Zimmer gehen sehen.«
Jobst sah zu Simons Lager hinüber. »Das kann sein. Er ist nicht da.«
»Was? Wieso nicht?« Wendel fühlte mit einem Mal sein Herz heftig schlagen, er wusste selbst nicht, warum.
»Er wird auf dem Lokus sein. Bestimmt kommt er gleich wieder.«
»Steh auf. Sieh nach, ob er unten ist.«
Murrend stemmte Jobst sich aus dem Bett. Wendel fühlte dieselbe Mordlust in sich erwachen, die er schon früher am Abend verspürt hatte. Bald, dachte er. Bald bist du weg!
Er hörte Jobst die Stiege hinabklettern und fragte sich, woher dieses seltsame Gefühl einer nahen Bedrohung stammte, das ihm mit einem Mal den Atem abschnürte.
Er zuckte mit einem unterdrückten Aufschrei zusammen, als plötzlich die Base im Türrahmen auftauchte.
»Ursel ist weg!«
»Was soll das heißen, sie ist weg?«
»Sie ist verschwunden. Und sie hat ihre Sachen mitgenommen.«
Wendel kämpfte sich von seinem Lager hoch und ging in die Ecke, wo Simon geschlafen hatte. Dort hätten die Sachen sein müssen, die der Junge immer von der Burg mitbrachte, wenn er nur für wenige Tage blieb. Ein zweites Paar Stiefel, Beinlinge und ein Hemd zum Wechseln. Es war nichts davon da.
Jobst kam zurück. »Er ist nicht unten. Diether ist auch weg, der Stall ist leer.«
Wendel kam es mit einem Mal so vor, als schwanke die Welt um ihn herum, er wollte die Hand ausstrecken und sich festhalten, doch er griff ins Leere. Schwach sank er auf der leeren Bettstatt seines Sohnes nieder.
Von draußen fiel Fackelschein durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden. Im nächsten Moment hörte er sie, und aus unerfindlichen Gründen verwunderte es ihn kaum. Sie kamen ihn holen.
Lärm drang von unten herauf. Hufgeklapper und Stiefelgetrampel in der Gasse vorm Haus. Männerstimmen, die Befehle brüllten. Heftiges Pochen an der Tür. Weitere Schreie ertönten, er verstand einzelne Kommandos.
»Tretet die Tür ein. Drei Mann hinters Haus, für alle Fälle! Schnappt euch die Dreckskerle!«
Die Base erfüllte das Haus mit ihren schrillen Schreien. Jobst stieß gotteslästerliche Flüche aus und kramte in seinen Sachen, während Wendel stumm und reglos auf dem Bett sitzen blieb. Sein Leben, das bei Tage noch wie ein breiter, strahlender Weg in die Zukunft vor ihm gelegen hatte, schnurrte auf eine unsichtbare Linie zusammen, auf der es ihn geradewegs ins Nichts zog.
Ein Hahnenschrei riss Madlen aus dem Schlaf. Draußen dämmerte der Morgen. Mattes Zwielicht drang durch die nur halb zugezogenen Läden. Madlen lag in Johanns Armen, eng an seinen großen Körper geschmiegt. Ihre Gedanken schweiften ziellos umher, ein Teil von ihr war noch mit der Nacht verbunden, mit der tiefen Dunkelheit und dem hitzigen, unersättlichen Begehren, das sie zueinander hingetrieben hatte, bis ihr ganzes Denken sich aufgelöst hatte. Ihr Gewissen zuckte kurz, sie sollte beten. Dann fiel ihr ein, dass Sonntag war, in der Kirche würde sie ohnedies beten. Aber bis dahin war noch viel Zeit. Die Augen fielen ihr zu, sie schlief wieder ein.
Im Traum sah sie Konrad, er war am Leben und saß vor ihr. Sie war überglücklich, aber auch innerlich zerrissen, denn sie liebte ja nun auch Johann. Doch Konrad lächelte sie traurig an und sagte, gleich gehe er wieder fort, er habe nur kurz nach ihr sehen wollen. Es sei richtig, dass sie einen neuen Mann genommen habe, der das Böse von ihr fernhalte. Sie müsse dennoch auf der Hut bleiben, denn das Böse könne auch von unerwarteter Seite kommen. Dann verblasste das Traumbild, doch ein schwacher Nachhall seiner Stimme blieb zurück. »Die letzte Tat ist noch nicht begangen«, wisperte es in ihren Gedanken.
Als sie aufwachte, war ihr Gesicht nass von Tränen. Der Traum hing ihr den ganzen Morgen nach, beim Frühstück war sie in sich gekehrt und still. Bedrückt dachte sie auch an den
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