Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
zum Staunen gebracht, aber vor allem hatte er rotglühenden Zorn in ihm geweckt, und er hatte sofort den Greven zu sich befohlen, damit dieser entsprechende Schritte veranlasste.
Die sorgfältig geschriebenen Zeilen stammten von seinem Patenkind, Blithildis von Bergerhausen. Nie hätte er geglaubt, dass sie noch lebte, und das, was sie ihm mitteilte, war so unfassbar wie kaum etwas, das er je gehört oder erlebt hatte. Es gab keinen Zweifel, dass der Brief von ihr kam, denn sie schrieb über Dinge, die nur sie wissen konnte. Einmal, als sie vielleicht vier oder fünf gewesen war, war sie mit ihrem Bruder und ihren Eltern in den Palast gekommen, und in einem unbeobachteten Moment, als die anderen sich ein paar Schritte entfernt unterhielten und niemand zu ihm hinsah, hatte Konrad ihr mit verschwörerischem Augenzwinkern ein Schmuckstück umgehängt, ein Kreuz aus ziseliertem Silber, mit einer kostbaren kleinen Perle. »Trag es auf dem Herzen«, hatte er ihr zugeflüstert, »denn es ist das Unterpfand unserer lebenslangen Freundschaft.«
Ich trage das Unterpfand unserer Freundschaft, das Ihr mir einstmals um den Hals legtet, immer noch auf dem Herzen , hatte sie in der letzten Zeile vor ihren Namen geschrieben. Jetzt und für immer .
Konrad rollte das schmale Pergament wieder zusammen und nahm sich den zweiten Brief vor. Aus dem rasenden Zorn und dem Entsetzen, die Blithildis’ Zeilen in ihm hervorgerufen hatten, war beim Lesen des anderen Briefs kalter Hass geworden. Sewolt, der Burgvogt auf der Lehnsburg, die ehemals Martin von Bergerhausen gehört hatte, listete in akribischer Anklage alle Missetaten des Hardefust und seines Gefolgsmannes auf, die er in vielen Jahren aus nächster Nähe mitbekommen hatte. Sie gipfelten in der Beschreibung des Überfalls auf Barbara und Blithildis und des Blutbads in der Schildergasse durch die Mordbuben des Hardefust.
Konrad horchte in sich hinein. Sein Hass gründete nicht allein auf den Schandtaten des Hardefust. Ein Teil war Selbstverachtung, die daher rührte, dass er, der Erzbischof, diesen Taten Vorschub geleistet hatte. Zumindest war er dafür mitverantwortlich, denn er hatte dem Hardefust die Macht gegeben, all diese Verbrechen begehen zu können. Zuletzt hatte er ihm sogar eine solche Machtfülle zu Füßen gelegt, dass es ihn vor seinem eigenen Opportunismus grauste.
Doch noch war nichts zu spät. Er konnte vieles noch ändern, es so gestalten, wie es der Gerechtigkeit entsprach.
Gerechtigkeit … Mit einem Mal spürte er jedes Jahr seines langen Lebens wie Blei auf seiner Seele liegen. Der Tag war nicht fern, da über ihn selbst gerichtet werden würde, und mit einem Mal flog ihn eine Ahnung an, dass sein Herz gewogen und für zu leicht befunden werden könnte.
»Bring mir noch Wein, Ott«, brummte er. »Wer weiß, ob ich je wieder so guten kriege.«
Auch Wendel Hardefust konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Schwerer Rotwein hatte ihn müde gemacht, er war in der Kammer, die er mit Jobst und seinem Sohn teilte, ohne sich auszukleiden auf seinem Lager niedergesunken, doch irgendwann war er ohne erkennbaren Grund aufgeschreckt und hatte nicht wieder in den Schlaf finden können. Die Ereignisse des Tages hatten ihn zu sehr aufgewühlt, alles lief vor seinem inneren Auge wieder und wieder ab, jeder einzelne Moment wollte nachempfunden und ausgekostet werden. Ob Johann von Bergerhausen schon tot war? Die Aussicht darauf stimmte ihn euphorisch.
Jobsts Atemzüge klangen rasselnd, auch er hatte dem Wein zugesprochen, was sonst nicht seine Art war. Beide waren sie trunken gewesen von ihrem Sieg und dem funkelnden, köstlichen Roten, den Diether mitgebracht hatte, und Wendel hatte zugeben müssen, dass der Wein seiner Base dagegen wirklich wie Pisse schmeckte.
Von Simon war nichts zu hören, sein Schlaf war leicht, schon in seiner Kindheit hatte man kaum sein Atmen vernehmen können. Wendel erinnerte sich, dass seine Frau – die bereits so lange tot war, dass er sich kaum noch ihr Gesicht ins Gedächtnis rufen konnte – manchmal in der Nacht an die Wiege gegangen war, um zu horchen, ob das Kind noch lebte. Unwillkürlich dachte Wendel an jene Tage zurück, und flüchtig fragte er sich, ob er damals glücklicher gewesen war als heute, doch er konnte sich nicht erinnern.
Eine seltsame Regung brachte ihn dazu, sich aufzusetzen und zu Simons Bettstatt hinüberzuspähen, aber die Unschlittlampe auf dem Schemel bei der Tür war nicht hell genug, um mehr als schattige
Weitere Kostenlose Bücher