Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
untergehen, es wurde rasch kühler. Der Himmel spiegelte sich dunkelrot in der Wasseroberfläche, und der Wald, der den See umsäumte, begrenzte den Horizont wie eine schwarze Wand.
Diether trat neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Simon wandte sich zu ihm, wissend, dass sein ganzes Leid und seine ganze Liebe in seinen Augen standen. Diether erwiderte seinen Blick, wie er es sonst nur wagte, wenn sie allein waren, aber bloß einen Herzschlag lang, dann senkte er die Lider und zog seine Hand zurück. Rasch ging er zu den anderen, setzte sich ans Feuer und ließ sich einen Pokal mit heißem Würzwein füllen.
Der Knecht brachte trockene Kleidung, und als Julius Overstolz und Mathias Grin sich im Kreise der Übrigen umzogen, war hier und da Gelächter zu hören, doch es klang verhalten. Die heitere Ausgelassenheit kam nicht mehr auf, die Karnevalsfeier war verdorben.
Simon hockte sich ebenfalls vor den Kamin. Gedankenverloren rieb er seine rechte Gesichtshälfte, die immer noch von dem heftigen Schlag seines Vaters brannte. Morgen würde sein Auge in allen Farben schillern.
Zögernd blickte er in die Runde. Seine Freunde, die von Wendel auf so unerträgliche Weise gedemütigt worden waren, schienen auf den ersten Blick gute Miene zum bösen Spiel zu machen, doch Simon spürte ihre unterdrückte Wut. Obwohl er keine Schuld an den Geschehnissen trug, drängte es ihn, sich für die Entgleisung seines Vaters zu entschuldigen. Doch dann ließ er es bleiben, denn es hätte sowieso nichts geändert. Alle hier im Raum kannten seinen Vater – und fürchteten ihn. Sein Name hatte Gewicht in Köln, und seine Macht reichte weit, sogar bis in den erzbischöflichen Palast. Es war besser, sich nicht mit Wendel Hardefust anzulegen.
Madlen nutzte den Aschermittwoch, um Konrads Grab auf dem Kirchhof von Sankt Aposteln zu besuchen. Sie ging zwischen der sechsten und siebten Stunde hin, weil um diese Zeit nicht so viel los war wie am Morgen, als sich zahllose Besucher zur Prozession und zur Messe eingefunden hatten, viele noch verkatert und übermüdet von den Ausschweifungen der vergangenen Tage. Auch im Goldenen Fass war es hoch hergegangen, wie immer während der Karnevalstage, Madlen hatte bis zur Erschöpfung gearbeitet. Solange sie im Sudhaus oder in der Schänke schuftete, war sie von ihren Sorgen abgelenkt. Wenn sie anschließend todmüde ins Bett fiel, blieb sie meist nicht lange genug wach, um sich den Kopf zu zerbrechen, wie es in der kommenden Woche weitergehen sollte. Am nächsten Sonntag jedenfalls würde sie Barthel ihren Entschluss mitteilen müssen, das hatte sie ihm versprochen. Dummerweise wusste sie immer noch nicht, wie sie sich entscheiden sollte.
Der Kirchhof von Sankt Aposteln, der auch als Begräbnisstätte diente, war teilweise durch die alte Stadtmauer eingefriedet. Der Eingang führte zwischen zwei Pfosten hindurch, über eine Grube hinweg, die mit einem Beinbrecher abgedeckt war – ein Gitterrost, für Menschenfüße zu beschreiten, aber ein unpassierbares Hindernis für frei herumlaufendes Vieh, vor allem jedoch für die zahlreichen streunenden Straßenköter, von denen es stets mehr gab, als der Hundeschläger einfangen konnte. Bis zur nächsten Beute war es nicht weit, denn das Beinhaus befand sich an der Mauer direkt hinter dem Eingang. Es war randvoll mit den Schädeln all jener, die aus der Erde geholt werden mussten, um Platz für die nächsten Verstorbenen zu schaffen.
Ein übler Geruch lag über dem Gräberfeld mit seinen schiefen Holzkreuzen und den vereinzelten Grabmälern aus Stein. Auch die entlang der Mauer gepflanzten Duftkräuter konnten den Verwesungsgestank nicht vertreiben. Nur selten waren die Gruben tief genug, um den Witterungseinflüssen standzuhalten. Beerdigungen waren nicht billig, und der Totengräber arbeitete immer nur so gut, wie er bezahlt wurde. Nicht wenige Gräber wurden daher irgendwann vom Regen unterspült und freigelegt, und wenn das geschah, musste erst jemand von den Hinterbliebenen den Totengräber entlohnen, damit er aufräumte.
Madlen wandte schaudernd den Blick ab, als sie ein paar Schritte voraus eine halb verweste Hand aus einem der älteren Gräber ragen sah.
Madlen war froh, dass sie, genau wie für ihren Vater nach dessen Tod, auch für Konrad ein Grab dicht bei der Kirchenmauer erstanden hatte. Ein Platz im Kircheninneren, sei es in der Gruft oder in einem Sarkophag oder unter einer der Bodenplatten, wäre noch besser gewesen, aber das
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