Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
blieb den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Doch draußen gleich bei der Mauer zu liegen war fast genauso gut. Die dort für Konrad ausgehobene Grube war so tief, dass sie vorerst gewiss niemand öffnen und seine Gebeine herausholen würde. Außerdem hatte Madlen einen festen Sarg für ihn gekauft, keine billige, offene Lade, die beim nächsten schlimmen Wolkenbruch hochgeschwemmt wurde.
In den Stein, den sie auf dem Grab hatte aufstellen lassen, war sein Name eingraviert, Konrad von der Schildergasse. Madlen konnte nicht lesen, ebenso wenig wie Konrad es gekonnt hatte, trotzdem hatte sie es so haben wollen. Auf diese Weise konnte seine Grabstätte mit keiner anderen verwechselt werden und hatte einen besonderen, eigenen Charakter.
Sie blieb vor dem Grab stehen und faltete die Hände. Hinknien mochte sie sich nicht, weil der Boden von dem Regen, der am Morgen gefallen war, noch morastig war. Sie sprach ein Gebet für Konrads unsterbliche Seele und dachte voller Bitterkeit daran, wie viel ihr genommen worden war. Und daran, was ihr noch blühen mochte.
Wen soll ich nur nehmen?, dachte sie, und was sie in Wahrheit meinte, war: Wie kann ich dem bloß entgehen?
Statt zu beten, hätte sie lieber laut geflucht.
Barthel oder Jacop? Jacop oder Barthel?
Es ging nicht um die beste Lösung, sondern nur um die am wenigsten schlimme.
Warum nur musste es ausgerechnet ein Brauer sein?
Und warum musste sie plötzlich an den großen, vernarbten Fremden denken, von dem sie nicht einmal den Namen wusste?
Gleich darauf wanderten ihre Gedanken wieder zurück zu ihrem Mann, und ihr kamen die Tränen, denn erst am Morgen war sie mit dem Gefühl aufgewacht, in seinen Armen zu liegen, umfangen von seiner Wärme. Sie hatte für einen Moment sogar gemeint, seinen Atem in ihrem Haar zu spüren. Dann war der Traum verflogen und die Wirklichkeit über sie hereingebrochen. Konrad gab es nicht mehr, nur noch in ihren Gedanken. Starr und mit zusammengebissenen Zähnen hatte sie dagelegen und gewartet, bis der lähmende, herzzerreißende Schmerz über den Verlust sich wieder in die ebenfalls schlimme, aber meistens erträgliche Trauer verwandelt hatte.
Sie zuckte zusammen, als unvermittelt im Kirchturm über ihr die Glocken ertönten. Es war nicht der Stundenschlag, sondern das Totenläuten, als hätten ihre Gedanken es herbeigerufen.
Madlen sah den Priester ins Freie treten. Ein Mitglied der Gemeinde war verstorben, vermutlich die Mutter des Kräuterhändlers, die schon seit Tagen mit dem Tode rang. Begleitet von Glockengebimmel, trat der Geistliche den Versehgang zum Sterbehaus an. Der Küster ging mit der Versehlaterne voran, zwei Ministranten mit weiteren Lichtern hinterher.
Madlen bekreuzigte sich und schloss sich dem kleinen Zug an, so wie es auf dem Weg zum Sterbehaus auch andere Gemeindemitglieder tun würden, um den Hinterbliebenen tröstend beizustehen und der Verstorbenen durch Gebet und Fürbitte das Seelengeleit zu geben. Ihr eigener Kummer war für den Augenblick vergessen.
Johann schwang die Axt und spaltete Holz für das Feuer. Die harte Arbeit tat ihm gut, sie half ihm, sich abzureagieren. Mit jedem Schlag konnte er gegen das Gefühl ankämpfen, in einer Sackgasse zu stecken. Ihre Tage hier im Wald waren gezählt, das hatte er Veit versprochen, und es war ihm ernst damit. Der letzte Überfall hatte ihm gezeigt, wie schmal der Grat war, auf dem er die ganze Zeit gewandelt war. Es kam nicht infrage, sich länger mit Drago gemeinzumachen.
Das bei den bisherigen Raubzügen erbeutete Geld war weniger als erhofft, aber es würde ihnen reichen. Nicht zum Kauf eines Hauses, aber auf jeden Fall zum Anmieten einer ordentlichen Bleibe, und daneben für eine ganze Reihe vernünftiger Mahlzeiten. Veit konnte jede Nacht in einem warmen Zimmer schlafen, und Johann würde dafür sorgen, dass es ihm auch sonst an nichts fehlte. Vielleicht konnte er sogar Bücher beschaffen und Veit daraus vorlesen, schließlich gab es noch andere Schriften als die von Ovid.
»Du schlägst ziemlich viel Holz, mein Freund«, rief Veit. Er kam von der Höhle herüber, den langen Stock hin und her schwingend und auf diese Weise alle Unebenheiten und Hindernisse in seinem Weg ertastend. »Viel mehr, als wir hier noch verfeuern können.«
»Wir werden eine Kiepe voll mitnehmen«, sagte Johann, keuchend von der Anstrengung. »Brennholz kann man immer brauchen.«
»Das ist ein guter Plan«, stimmte Veit zu. Seine hellen Augen versuchten, Johanns Gestalt zu
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