Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Meinung, dass es nur eine kleine Beeinträchtigung für dich war, jedenfalls gemessen am Gewinn, den du daraus ziehst. Du hast selbst gesagt, dass das Brauen dein Leben ist. Dieses Leben willst du dir unbedingt erhalten. Also kann ein bisschen Taktik nicht schaden, vor allem nicht gegenüber den richtigen Leuten. So wie beispielsweise Meister Eberhard. Du hast in diesem Schöffen einen wichtigen Verbündeten gewonnen, sein Wort zählt viel in der Bruderschaft. Was lag also näher, ihn vollständig davon zu überzeugen, dass du alle von diesen unsäglichen Bedingungen, die sie dir gesetzt haben, erfüllt hast? Und zugleich die Gelegenheit zu nutzen, auch dem Gesinde zu demonstrieren, dass alles seine Ordnung hat? Wen will dieser Barthel für seine Zwecke einspannen, wenn ein jeder aus deinem Haushalt bezeugen kann, dass es nichts zu bezeugen gibt?«
Aufgewühlt ballte sie die Fäuste. Schlimm genug, dass er völlig recht hatte, seine Argumente waren in jedem Punkt sachlich und überzeugend, doch das änderte nichts daran, dass sie sich auf rätselhafte Weise gedemütigt und manipuliert fühlte. Hinzu kam die Verwirrung, in die seine Umarmungen sie gestürzt hatten, vor allem die erste. Die Selbstverständlichkeit seiner Berührungen, die unerwartete Nähe seines beängstigend großen Körpers, der ihr dieses unbekannte Gefühl von Unterlegenheit und Ausgeliefertsein vermittelte.
»Das wird sich nicht wiederholen«, sagte sie.
Er nahm diese kategorische Äußerung mit einem kurzen Nicken auf, dann wiederholte er: »Ich muss dir was Wichtiges …«
Doch sie war bereits ins Haus gestürmt. Und blieb in der Stube ungläubig stehen.
»Was ist denn hier los?«, entfuhr es ihr.
Auf der Bank saß ein fremder Mann.
»Das wollte ich dir vorhin erklären«, sagte Johann hinter ihr.
Madlen starrte den Fremden an. Er mochte Mitte bis Ende dreißig sein, aber sein Alter war schwer zu schätzen, denn er war erbärmlich ausgemergelt und heruntergekommen. Seine Tunika war fadenscheinig, das Hemd darunter fleckig und zerrissen. Sein kinnlanges, dunkelblondes Haar war jedoch sorgsam hinter die Ohren gekämmt, und als er zögernd lächelte, war zu sehen, dass er gute Zähne hatte.
Der Mann stank. Nicht nur nach altem Schweiß und zerlumpter, verschmutzter Kleidung, sondern auch süßlich nach Eiter und Krankheit. Der Geruch rührte von seinem Armstumpf her, den er wie zum Schutz vor sich hielt. Halb ausgewickelt lag dieser Stumpf vor ihm auf dem Tisch, die schmutzige Leinenbandage wie eine graue fleckige Schlange daneben, der Rest davon noch am Arm hängend, welcher zwei Handbreit unter dem Ellbogen in einem geschwürigen, wulstigen Knubbel endete.
Als spüre er Madlens Blick, zog er hastig die Bandage über den Stumpf, doch sie hatte die nässenden, entzündeten Stellen bereits gesehen.
Der Mann war verlegen. »Es tut mir leid. Ich wollte nur … es hatte sich gelockert …«
»Lass das«, sagte Johann zu ihm. Er trat zu dem Fremden, zog die verdreckte Binde ganz herunter und warf sie zur Seite. »Das wirst du nicht noch einmal anlegen. Madlen wird dir ein sauberes Stück geben.« Er drehte sich zu Madlen um. »Das ist Veit. Er ist blind.«
Madlen blickte dem Fremden erstaunt ins Gesicht, denn seine Augen hatten ganz normal ausgesehen. Doch dann hob er den Kopf, und sie erkannte im hellen Tageslicht, das durch die offenen Klappläden fiel, dass Johann recht hatte. Der Mann hatte zwar klare blaue Augen, aber er konnte sein Gegenüber nicht richtig fixieren. Sein Blick irrte um sie herum, als suche er nach der Stelle, die es festzuhalten galt, ohne sie finden zu können. »Ich möchte Euch keine Umstände bereiten«, sagte er höflich zu ihr.
»Verbinde seinen Arm«, befahl Madlen Irmla, die mit stoischer Miene vor dem Arbeitstisch neben der Feuerstelle stand und Gemüse klein schnitt. »Und dann gibst du ihm Suppe, bevor er wieder geht.« Niemand sollte ihr nachsagen, dass sie einen armen Krüppel, der sich in ihr Haus verirrt hatte, herzlos seiner Wege schickte.
»Kommst du kurz mit raus, damit ich mit dir reden kann?«, fragte Johann. Sie fuhr zu ihm herum, als er nach ihrem Arm fasste. Die vernichtende Zurechtweisung für diese neuerliche Berührung lag ihr schon auf der Zunge, doch sie hielt an sich, denn Irmla warf einen neugierigen Blick über die Schulter.
Madlen folgte Johann hinaus auf den Hof.
»Wer ist der Mann?«
»Ein armer Teufel.«
»Das sehe ich selbst. Was hat er in meinem Haus verloren? Wieso hast
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