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Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin

Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin

Titel: Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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du ihn angeschleppt?«
    »Weil er mir einst das Leben gerettet hat.«
    »Wann?«
    »Im Krieg.«
    »Also kennst du ihn schon länger?«
    Johann nickte. »Ich habe ihn unlängst in der Stadt wiedergetroffen. Du hast gesehen, wie er aussieht. Zum Bettler taugt er nicht viel. Er wird sterben. Wenn nicht am Hunger, dann an all dem Dreck und der Kälte und der Einsamkeit.«
    Madlen sah ihn an. Sie war von widerstreitenden Empfindungen erfüllt. Auf der einen Seite rief es ihren Unmut hervor, dass er eigenmächtig einen Krüppel in ihr Haus brachte. Auf der anderen Seite hatte der Anblick des armen Versehrten auf der Stelle ihr Mitleid geweckt; sie hatte noch nie am Leid anderer vorbeigehen können. Jeden Sonntag nahm sie Münzen und Äpfel mit zur Kirche, um sie vor Sankt Aposteln unter den Bedürftigen zu verteilen. Besonders schmerzte es sie, hungernde oder frierende Kinder zu sehen, und sie verabscheute die wohlgenährten und selbstsüchtigen Kirchgänger, die sich ungerührt an all dem Elend vorbeidrängten und ihre Spenden lieber in die Kollekte warfen, die bloß dem Kirchenbau zugutekam statt denen, deren Überleben davon abhing. Sie gab gerne einen Teil ihres Überflusses ab, nicht nur um ihres Seelenheils willen, sondern weil sie wusste, dass andere es verzweifelt brauchten.    
    »Warum hast du ihn mitgebracht?« Sie beobachtete ihn, sein vernarbtes und von den Schlägen immer noch verfärbtes Gesicht, das die anderen hässlich fanden, obwohl es doch überhaupt nichts Abstoßendes an sich hatte. Im Gegenteil, es war auf unbestreitbare Weise anziehend, und dieser Eindruck vertiefte sich, je öfter sie ihn betrachtete. Sie sah in seinem Gesicht Wesenszüge, die sich ihr so mühelos offenbarten, als könne sie in einem Buch lesen, obwohl sie des Lesens unkundig war und ihn obendrein gar nicht richtig kannte. Er besaß Würde und Charakterstärke. Er behandelte die Menschen anständig, die gut zu ihm waren, er war hilfsbereit, großmütig und zielstrebig. Er war aufrecht und stark und ließ sich nicht kleinkriegen. Sie fühlte sich ihm auf eine Art seelenverwandt, die sie verstörte, fast noch mehr als seine einschüchternde körperliche Präsenz. Eines wusste sie sicher: Wenn er zum Räuber geworden war, dann nur aus Not und nur bei denen, die den Verlust entbehren konnten. Und dann waren da noch die Geheimnisse, die er ohne jede Frage hütete und die sie erst recht beunruhigten, aber gleichzeitig auch anlockten wie das Kerzenlicht die Motte. Sie verspürte den unüberwindlichen Wunsch, mehr über ihn und seine Vergangenheit zu erfahren, obwohl eine innere Stimme sie davor warnte. Eine vage Ahnung drohender Gefahren ging damit einher, doch das verstärkte höchstens den Drang, alles über ihn herauszufinden.
    »Madlen«, sagte er leise. »Ich kann ihn nicht da draußen lassen. Er geht vor die Hunde.«
    Er sagte nicht, dass sie den Mann in ihrem Haus aufnehmen sollte, ebenso wenig brachte er zum Ausdruck, dass er sein eigenes Bleiben davon abhängig machte. Er blickte sie einfach nur bittend an.
    Ihr Widerspruchsgeist regte sich, denn wieder fühlte sie sich in eine Richtung gelenkt, die nicht sie selbst bestimmte, sondern er. Doch sie hatte bereits erkannt, dass es nur eine richtige Entscheidung gab. Viele Kölner hatten Hausarme, warum nicht auch sie? Platz war genug vorhanden, satt zu essen gab es auch. Im Grunde war also dagegen nichts einzuwenden, vor allem nicht, wenn es nur vorübergehend war.
    »Kannst du dich für seine Redlichkeit verbürgen?«, wollte sie wissen.
    »Mit meinem Leben.«
    »Gut. Solange du bleibst, kann auch er bleiben. Er kann im Wagenhaus schlafen, dort gibt es reichlich sauberes Stroh, und er bekommt eine warme Decke.«
    »Danke«, sagte er einfach.
    Sie nickte nur und ging zurück ins Haus.
    Johanns Freund Veit erwies sich zu Madlens Erleichterung rasch als ausgesprochen angenehmer Hausgenosse. Während Johann bei der Arbeit und bei Tisch immer noch Vorbehalte und teilweise sogar Ablehnung entgegengebracht wurden, erfuhr Veit binnen kürzester Zeit allseitige herzliche Zustimmung. Man konnte nicht anders, als ihn zu mögen, sogar der missmutige Willi und die launische Irmla begegneten ihm mit Freundlichkeit. Sein offenes Lächeln, sein verbindliches Wesen, vor allem aber sein nie versiegender Sinn für Humor nahmen von Anfang an alle für ihn ein. Es verging keine Mahlzeit, bei der er nicht mit einer spannenden Geschichte aufwartete, von glorreichen Schlachten der Kreuzfahrer, von

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