Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Freundlichkeit, als sie Johann sah. Sie betrachtete ihn kurz, wie um sich zu vergewissern, in welchem Maße ihre Bemühungen um seine Gesundheit zu seinem Wohlbefinden beigetragen hatten. Höflich setzte sie hinzu: »Ich hörte bereits, dass Ihr wieder vollständig genesen seid.«
Madlen forschte verstohlen in Julianas Zügen nach Anzeichen von Überraschung oder Furcht. Die entstellenden Schwellungen in Johanns Gesicht waren deutlich zurückgegangen, er sah beinahe wieder so aus wie vor den schrecklichen Prügeln. Falls Juliana sich aus ihrer Jugend an ihn erinnerte, wäre fraglos jetzt der Zeitpunkt gewesen, dass sie ihn hätte wiedererkennen müssen. Doch davon war nichts zu bemerken. Madlen nahm lediglich eine leise Unsicherheit wahr, doch die konnte genauso gut daher kommen, dass die Begine sich so unvermittelt diesem Fremden gegenübersah, der mit seiner großen Gestalt die halbe Stube auszufüllen schien.
»Ja, es hat Gott gefallen, mich noch eine Weile im irdischen Jammertal wandeln zu lassen.« Johann betrachtete die Begine, aber es konnte keine Rede davon sein, dass er sie anstarrte. Seine Blicke zeigten lediglich wohlwollendes Interesse und eine Spur von Neugier. Er ließ sich auf einem der Schemel nieder, die vollgekritzelte Wachstafel legte er vor sich auf den Tisch. Madlen versuchte, in seinem Gesicht zu lesen, sie suchte nach verborgenen Regungen, doch außer verbindlicher Aufmerksamkeit war dort nichts zu erkennen.
Ganz offensichtlich hatten die beiden einander noch nie im Leben gesehen.
»Das ist meine Freundin, die Begine Juliana«, sagte Madlen zu Johann. »Sie ist eine sehr gute Heilerin. Habe ich dir schon erzählt, dass sie diejenige war, die deine Wunden nähte und dich in den ersten Tagen pflegte?«
»Nein«, sagte Johann. »Davon sagtest du nichts.« Interessiert erkundigte er sich bei Juliana: »Welchem Konvent gehört Ihr an?«
»Dem in der Glockengasse.«
»Beschäftigen sich alle Beginen mit der Heilung?«
»Oh, nein, wir verrichten ganz unterschiedliche Arbeiten. Wir weben, bauen Gemüse und Wein an, erzeugen Wolle und dergleichen mehr.«
Der alte Cuntz klopfte auf die Bank neben sich. »Setz dich doch zu uns, Juliana!«
»Eigentlich wollte ich mir nur dein Bein ansehen.« Ein wenig verlegen wandte die Begine sich an Madlen. »Ich kann es auch morgen machen, ich möchte euer sonntägliches Beisammensein nicht stören.«
»Ihr stört uns nicht, Begine«, sagte Johann.
»Nein, ganz gewiss nicht«, pflichtete Cuntz ihm bei.
Madlen beeilte sich, den beiden zuzustimmen, auch wenn sie angesichts von Johanns eigenmächtiger Äußerung wieder ihren altbekannten Widerspruchsgeist erwachen fühlte. Dieser Mann riss allzu gern in allen Lebenslagen die Bestimmungsgewalt an sich, das hatte nicht einmal Konrad getan, und der war immerhin hier der wirkliche und mit allen Befugnissen ausgestattete Hausherr gewesen. Sie unterdrückte den Anflug von Groll und forderte Juliana auf, sich zu ihnen an den Tisch zu setzen, anschließend scheuchte sie Irmla von ihrem Lager hoch und befahl ihr, Brot und Käse aufzutischen. Sie selbst ging in die Schankstube, um für jeden einen Becher Bier zu zapfen. Nur nicht für Johann. Sollte er doch Wasser aus dem Brunnen trinken, wenn ihm das besser schmeckte.
Sie zuckte zusammen und ließ beinahe einen vollen Becher fallen. Johann stand hinter ihr, sie hatte nicht mitbekommen, dass er ihr gefolgt war.
»Ich wollte dir beim Tragen helfen.«
»Himmel, musst du dich so anschleichen?«
Er ging nicht darauf ein, sondern stellte sich neben den Schanktisch, während sie weiter Bier zapfte.
»Woher kennst du die Nonne?«, fragte er.
Aus seiner Stimme klang Anspannung. Unvermittelt begriff Madlen, wie gut er sich vorhin in der Stube verstellt hatte. Er musste Juliana sofort erkannt haben. Madlen drehte sich langsam zu ihm um, in jeder Hand einen schäumenden Becher.
»Beginen sind keine Nonnen«, sagte sie.
»Das war nicht meine Frage.« Es klang schroff.
Madlen ließ ihn nicht aus den Augen. »Sie kam vor drei Jahren das erste Mal zu uns, als mein Vater krank wurde, und sie pflegte ihn, bis er starb. Seither kommt sie regelmäßig, um nach Großvaters Bein zu sehen. Und sie hat sich sehr liebevoll um mich gekümmert, als letztes Jahr mein Mann ermordet wurde.«
»Was weißt du über sie? Woher kommt sie?«
Es war an der Zeit, ihm reinen Wein einzuschenken.
»Sie hat vor vielen Jahren ihr Gedächtnis verloren und es nie wiedergefunden. Sie weiß nichts
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