Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
einer kleinen Talgleuchte getan, denn es hatte beide Male, als sie da gewesen war, geregnet, und der Wind hatte ums Haus geheult, sodass die Läden geschlossen bleiben mussten. Aber hätte sie ihn nicht trotzdem erkennen müssen, wenn er wirklich ihr Bruder war?
Es hatte jedoch nichts darauf hingedeutet, dass Johann ihr bekannt vorkam, auch nicht, als Madlen ihr seinen Namen genannt hatte. Juliana hatte lediglich ein wenig Besorgnis gezeigt, was allerdings damit zusammenhing, dass Madlen sich so unverhofft in diese seltsame Zweckehe gestürzt hatte.
Möglicherweise hatte sie Johann jedoch nur deshalb nicht wiedererkannt, weil es so viele Jahre her war, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte. Juliana war damals kaum dem Kindesalter entwachsen gewesen, und Johann war höchstens ein oder zwei Jahre älter als sie, auch er konnte seinerzeit nicht viel mehr als ein Junge gewesen sein, vielleicht so alt wie Berni oder Willi. Ohne Frage hatte er sich seitdem sehr verändert. Womöglich hätte nicht einmal seine eigene Mutter ihn wiedererkannt, bei all den Narben im Gesicht und seiner großen, massiven Statur. Als Jüngling hatte er vermutlich völlig anders ausgesehen. Ganz zu schweigen davon, was die Schläge mit ihm angerichtet hatten. Und dann war da natürlich noch Julianas Gedächtnisverlust. Dieser mochte bewirken, dass Juliana sich selbst dann nicht an Johann hätte erinnern können, wenn er seit seiner Jugend gänzlich unverändert geblieben wäre.
Madlen hatte hin und her überlegt, ob sie Johann davon erzählen sollte, dass Juliana hier gewesen war, als er besinnungslos im Bett gelegen hatte. Oder ob sie Juliana reinen Wein über ihn einschenken sollte. Doch dann hatte sie entschieden, abzuwarten. Juliana würde sicher in ein paar Tagen wieder herkommen, es lagen selten mehr als drei Wochen zwischen ihren Besuchen. Dann sollte Johann selbst feststellen, ob Juliana jene Blithildis war. Oder auch nicht, denn ebenso gut war es möglich, dass er eine ganz andere Begine suchte.
Um Julianas Leben sorgte Madlen sich nicht mehr. Johann würde ihr nichts tun, das stand zu Madlens tiefster Überzeugung fest. Bei dem Gedanken entwich ihr ein kleiner Seufzer der Erleichterung, was sofort dazu führte, dass sie sich mit leiser Selbstironie fragte, woher sie ständig diese Sicherheit nahm, was Johanns Ehrenhaftigkeit anlangte. Doch sie ging dieser Frage nicht weiter nach, weil es gänzlich müßig war – sie hatte ihren Instinkten bisher noch immer vertrauen können. Wenn in ihrem Leben auf eine Sache Verlass war, so war es ihre Fähigkeit, Menschen zu durchschauen. Jedenfalls meistens. Ein paar wenige schafften es mitunter, sie für dumm zu verkaufen, so wie Jacop neulich. Aber lange dauerte es nie, bis sie dahinterkam.
Johann riss sie aus ihren Gedanken. »Welches soll ich nehmen?« Er hatte sich über die Reihen der Fässer gebeugt und betrachtete die Markierungen. Es gab keine bestimmte Reihenfolge bei der Lagerung, denn dann hätte ständig alles umgeräumt und herumgeschoben werden müssen, das war zu aufwendig und bekam dem Bier nicht gut. Stattdessen markierte Madlen die Fässer mit Kreidesymbolen, die Tag, Woche und Monat abbildeten. Sie hatte für alles genügend Symbole, die sie sich leicht merken konnte. So hatte sie immer im Blick, welches Fass als nächstes angestochen werden musste.
Sie deutete auf eines in der rechten unteren Reihe.
»Das da.«
Johann zog es heraus, packte es mit beiden Armen und wartete, bis Madlen vor ihm die Stiege hochgeklettert war, bevor er ihr nach oben folgte. Sie streckte ihm die Hände entgegen. »Schaffst du es allein oder soll ich anpacken?«
Sie sah, dass er keine Hilfe benötigte, und wich zurück, um ihm nicht den Weg zu versperren. Er wuchtete das Fass ins Freie, schleppte es durch den Vordereingang in die Schankstube und stellte es dort ab. Mit dem Finger malte er die Kreidezeichen auf dem Fass nach. »Was sind das für seltsame Symbole?«
Madlen merkte, wie sie rot wurde. »Die habe ich mir ausgedacht. Das erste ist für den Tag, das zweite für die Woche, das dritte für den Monat.« Sie wies auf das erste Zeichen, einen nach oben gerichteten Pfeil. »Das steht für den Montag.« Hastig zog sie die Hand zurück, weil sie unbeabsichtigt seinen Zeigefinger berührt hatte. »Der Kreis mit den beiden Punkten in der Mitte ist die zweite Woche im Monat. Und die drei Bögen am Ende stehen für den dritten Monat, also den März.«
Sie spürte seinen Blick von der Seite und
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