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Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin

Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin

Titel: Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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nicht erst an die Vergangenheit zu rühren.
    Johann legte seine vom Bier nasse Hand auf die ihre und drückte sie gegen seine Brust. Unter ihren Fingern fühlte sie sein Herz pochen, es schlug kräftig und stetig, und dabei sah er sie unentwegt an. Seine Miene war undurchdringlich, aber in seinen Augen glaubte sie eine vage Sehnsucht zu erkennen. Unvermittelt stieg eine Wärme in Madlen auf, die ihr Angst einjagte. Zögernd zog sie ihre Hand unter der seinen heraus und senkte den Blick.
    »Was wirst du tun?«, fragte sie.
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie kehrten gemeinsam ins Haus zurück, Johann half ihr beim Tragen. Als sie die Stube betraten, war Juliana gegangen.
    Sie hatte sich unter einem Vorwand aufgemacht. Eben sei ihr eingefallen, dass sie noch dringend nach einer Wöchnerin am Malzbüchel sehen müsse, hatte sie Cuntz erklärt, und dann war sie mit einer Eile aufgebrochen, die sie selbst beunruhigend fand. Von plötzlicher Rastlosigkeit erfüllt, hatte sie keinen Moment länger bleiben können, obwohl ihr bewusst war, wie unhöflich sie sich benahm. Irmla hatte bereits Brot geholt, dazu ein Brett mit aromatisch duftendem Käse und einen Topf mit süßem Apfelkompott. Cuntz hatte ihr seine neue Schnitzarbeit gezeigt und von dem Hausarmen erzählt, der neuerdings bei ihnen lebte. Unter anderen Umständen wäre Juliana gespannt darauf gewesen, diesen Menschen kennenzulernen, der offenbar hier bei allen wohlgelitten war. Doch die seltsame Unruhe trieb sie fort, sie musste das Haus verlassen, weil das schleichende, nagende Gefühl einer nahen Bedrohung sonst unerträglich geworden wäre.
    Ihr Atem kam stoßweise, als sie im Laufschritt die Schildergasse hinabeilte. Es war warm, der Frühling hatte mit Macht eingesetzt und brachte bereits die ersten Blüten hervor. Ein lauer Wind streifte ihr Gesicht, die Sonne schien kräftig, sodass sie unter ihrer Tunika zu schwitzen begann. Ihre Hand tastete über das Gewand, bis sie die Umrisse des Kreuzes unter ihren Fingerspitzen fühlte. Doch der sonst so tröstliche Anhänger schien sie noch mehr aufzuwühlen, rasch ließ sie ihn los und suchte stattdessen in ihrer Gürteltasche nach dem geschnitzten Abbild der heiligen Magdalena. Eigentlich war es zu groß, um es mit sich herumzutragen, doch Juliana konnte sich nicht davon trennen. Es war aus einem leichten Holz gemacht, vielleicht Birnbaum, sie spürte das Gewicht kaum.
    Sie murmelte Gebete vor sich hin, ohne darüber nachzudenken, was sie sagte. Es schien nur darum zu gehen, dass sie überhaupt etwas sagte, irgendwelche Worte, die sie von der Verzweiflung ablenkten, die sie mit einem Mal empfand. Sie musste nur beten, dann wurde ihr Kopf leer und ihr Herz weit. Sie würde wieder richtig atmen und normal gehen können, statt zu rennen und damit die Blicke der Leute auf sich zu ziehen.
    Doch sie konnte ihre Schritte nicht verlangsamen, sie musste laufen. Davonlaufen. Der Atem brannte ihr in den Lungen, ihr Gewand flatterte und schlug ihr bei jedem Schritt um die Knie, doch sie hielt nicht inne, bis sie den Konvent in der Glockengasse erreicht hatte.
    Ich hätte es ihm nicht sagen dürfen, durchfuhr es sie unvermittelt. Jetzt weiß er, wo ich wohne. O Gott, was habe ich getan? Er wird … er wird … Ich werde … Sie hob die Hände und presste sie sich gegen die Schläfen, als könnte sie auf diese Weise ihren Kopf zwingen, sofort mit dem Denken aufzuhören. »Heilige Magdalena, hilf mir!« Und diesmal half sie endlich. Juliana wurde ruhig, ihr Geist klärte sich wieder, ihr eben noch in Auflösung begriffenes Leben setzte sich wieder zu einem stabilen Ganzen zusammen. Es gab keine Gefahren, alles war in Ordnung. Die Sonne streute ihr sanftes Licht auf den lehmigen Weg zu ihren Füßen, die Mauer, die den Konvent zur Gasse hin abschirmte, war von tröstlicher, festgefügter Verlässlichkeit. Sie hätte sich nicht allein auf den Weg machen dürfen, das war ein Fehler gewesen. Die Meisterin predigte es ihnen immer wieder. Geht nur zu zweit, dann seid ihr sicherer. Juliana würde nie wieder gegen diese Regel verstoßen, auch wenn der Besuch noch so harmlos und der Sonntag noch so sonnig war.
    Sie klopfte an die Pforte und wartete, bis ihr aufgetan wurde. Als sie ins Haus ging und ihre Kammer aufsuchte, war sie innerlich und äußerlich vollkommen ruhig. Sie legte sich auf ihr Bett, weil sie so erschöpft war wie seit Langem nicht. Ein weiterer Fehler, sie hätte nicht so rennen dürfen. Schlaf senkte sich über sie, die

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