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Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin

Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin

Titel: Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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dreingeschaut, als in jener Geschichte der einäugige Riese die Gefährten des Helden fraß.
    Madlen starrte an die Decke, wo das Licht der kleinen Talgleuchte, die neben ihrem Bett brannte, bewegliche Schatten erzeugte, wie unheimliche Gestalten aus einer fremden Welt, die durch das Dach des Hauses zu ihr vordringen wollten. Ein Hauch von Angst flog sie an, vor dem Fremden und Neuen. Vor den Zahlen, hinter denen sich eine Macht verbarg, vor der sie zurückschreckte. Und vor Johann, vor dem sie erst recht zurückschreckte. Er war wie die Ziffern, erkannte sie plötzlich. Und wie die Sirenen am fernen Ufer. So verlockend und verheißungsvoll. Zum Greifen nah, doch auch gefährlich. Wie ein Tor zu einem unbekannten Land. Durchschritt man es, war man verloren.
    Dieser beunruhigende Gedanke war der letzte in dieser Nacht, Madlen nahm ihn mit in den Schlaf.



  
    Am anderen Morgen wurde sie zum ersten Mal, seit sie zurückdenken konnte, nicht bereits mit dem ersten Tageslicht wach. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, als sie sich aus dem Bett kämpfte und zum Fenster stolperte, um den Laden aufzustoßen. Sonnenstrahlen stachen ihr in die Augen. Unten auf der Gasse herrschte bereits emsiges Leben. Ein Hütejunge trieb eine Schar Ziegen vor sich her. Ein Karren mit Mehlsäcken wurde in Richtung Neumarkt gezogen, ein anderer folgte, schwer mit Fischfässern beladen. Vorn an der Ecke standen die Frau des Bäckers und die des Kräuterhändlers, sie tratschten, was das Zeug hielt. Im nächsten Moment läuteten die Glocken zur Terz, buchstäblich der schlagende Beweis, dass Madlen verschlafen hatte. Und zwar um Stunden.
    Fassungslos und mittlerweile hellwach kletterte sie die Stiege hinab. Irmla stand am Kochtopf und bereitete Haferbrei zu. Als sie Madlen erblickte, verzog sie grämlich das Gesicht, sagte aber nichts. Dafür nahm Madlen kein Blatt vor den Mund.
    »Warum hast du mich nicht geweckt?«, fuhr sie die Magd an.
    »Weil er es nicht wollte.«
    »Er?«
    »Dein Mann «, erklärte Irmla mit abfälliger Betonung. »Er hat mir befohlen, dich schlafen zu lassen, dein Herr Gemahl. Anscheinend hat er neuerdings das Sagen hier im Haus.«
    Madlen versagte es sich, Irmla über den Mund zu fahren, obwohl ihr einige sehr handfeste Grobheiten auf der Zunge lagen. Sie klatsche eine Kelle Haferbrei in eine Schale, setzte sich damit zu ihrem Großvater an den Tisch, sprach ein Gebet und begann lustlos zu essen. Auf die erste Morgenmahlzeit hätte sie gut verzichten können, nachmittags hatte sie deutlich mehr Hunger, doch wer mit leerem Magen an die Arbeit ging, brachte nichts Brauchbares zuwege, das hatte ihr die Mutter früher so oft eingeschärft, dass es ihr schon vor langer Zeit in Fleisch und Blut übergegangen war.
    Die Hintertür öffnete sich, Veit kam in die Stube. Er tastete sich vorsichtig an der Wand entlang.
    »Hast du Hunger?«, fragte Irmla fürsorglich. »Komm, ich helfe dir zum Tisch.« Sie fasste Veit unter und geleitete ihn zur Sitzbank. »Ich bringe dir Haferbrei, er ist ganz frisch. Wenn du magst, kann ich dir etwas Honig hineingeben, dann ist er schön süß. Und hinterher kannst du ein Stück Käse haben.« Sie warf Madlen einen herausfordernden Blick zu, doch diese hatte gar nicht vor, zu widersprechen. Sie beugte sich über ihre Schale und hoffte, dass in der Brauerei alles seinen ordentlichen Gang nahm. Dann machte sie sich bewusst, dass sie davon ohne Weiteres ausgehen konnte, solange Johann dort das Regiment führte. Er würde schon dafür sorgen, dass alles wie am Schnürchen klappte. Geistesabwesend führte Madlen den nächsten Löffel Brei zum Mund. Seltsam, dieses ungewohnte Gefühl, sich auf jemand anderen verlassen zu können. Zu wissen, dass der Betreffende die Arbeit ebenso gut, wenn nicht besser erledigte als man selbst, ganz ohne die Sorge, dass das Malz faulig wurde, der Sud überkochte oder nicht rechtzeitig frisches Feuerholz herbeigeschafft wurde. Wann hatte sie dieses Gefühl zuletzt gehabt? Sie dachte gründlich darüber nach und kam zu dem Ergebnis, dass es zu einer Zeit gewesen sein musste, als ihr Vater noch gelebt hatte. Bei Konrad hatte sie diese Empfindung vollständiger Sicherheit nie gehabt, jedenfalls nicht, was die Arbeit betraf. Er war ein hervorragender Brauer gewesen, doch manchmal auch ein Tagträumer. Es war schon vorgekommen, dass er sich für einen Moment in die Sonne gesetzt hatte, nur um gleich darauf von einem bunten Falter abgelenkt zu werden, den er verfolgt und

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