Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Veit noch hagerer, obwohl er längst nicht mehr so ausgezehrt aussah wie bei seinem Einzug. Noch ein paar Wochen, und niemand würde mehr bemerken, dass er wochenlang gehungert hatte. Auch Johann hatte sich rasch wieder von der schmalen Gefängniskost erholt, er verdrückte unglaubliche Mengen, wobei er sich keineswegs auf die von Irmla auf den Tisch gebrachten Speisen beschränkte. Nicht immer nahm er an den gemeinsamen Mahlzeiten teil. Stattdessen besorgte er zuweilen für sich und Veit besseres Essen auf dem Markt oder bei den Garküchen und teilte es mit ihm im Schuppen. Der Himmel allein wusste, woher er das Geld dafür nahm; die paar Pfennige, die Madlen ihm gegeben hatte, waren mit Sicherheit längst aufgebraucht. Manchmal roch sie den Duft geräucherter Bachforelle oder frisch gebackenen Brotes, oder auch das Aroma eines würzigen, fetten Käses. Einmal hatte Veit ihr höflich ein Stück von dem Mandelkuchen angeboten, den Johann ihm mitgebracht hatte. Madlen hatte spontan davon abgebissen, was ihren Groll über die einseitige Beköstigung, mit der sie sich tagein, tagaus begnügen musste, beträchtlich gesteigert hatte. Irmla bekam genug Geld zum Wirtschaften, aber irgendwie schien sich unter ihren Händen alles in klumpigen Brei oder fade, stinkende Eintöpfe zu verwandeln. Es gab nur wenige Lichtblicke. Etwa guter Käse, den Madlen selbst vom Markt mitbrachte. Oder Apfelbrei, bei dessen Zubereitung man nicht viel verkehrt machen konnte, sofern man ihn nicht anbrennen ließ. Frisches Brot vom Bäcker. Und außerhalb der Fastenzeit natürlich Wurst oder Schinken oder gefüllte Pasteten. Dafür waren die Bemühungen Irmlas, Fischtopf oder Schmorfleisch mit genießbarem Ergebnis zuzubereiten, selten von Erfolg gekrönt. Der große gemauerte Backofen im Anbau der Braustube, zu Lebzeiten von Madlens Mutter noch regelmäßig in Gebrauch, war in den letzten Jahren nur noch vereinzelt angeheizt worden. Irmla hasste das Backen, zweifellos weil sie es noch schlechter beherrschte als das Kochen.
Wenigstens beim Trinken musste keiner von ihnen Verzicht üben – es stand jederzeit das köstlichste Bier bereit.
Madlen seufzte verhalten, die vielen Gedanken ans Essen und Trinken zeitigten Wirkung. Mittlerweile knurrte ihr der Magen, begehrlich schielte sie auf das Brett mit dem Räucherfisch. Es waren nur die Reste von einem üppigen Mahl, das der Pilger sich vor der Rasur einverleibt hatte. Anscheinend war er ein Mann, der leibliche Genüsse schätzte. Köln war voll von Wallfahrern, und längst nicht alle waren Asketen. Oft bevölkerten sie scharenweise die Schänken, viele kamen auch ins Goldene Fass , manche sogar alle Jahre wieder.
Der Mann erhob sich aus dem Zuber, der Leib feuchtweiß glänzend wie bei einer riesigen, fetten Made. Das Lendentuch hing triefend bis zu den Knien, und von seinem Wanst lief das Wasser auf den guten Fisch und ins Gesicht der schlafenden Frau, die mit einem unwilligen Laut hochschrak.
Platschend stieg der Pilger aus dem Zuber, nahm seinen Schwamm und seine Seife aus der Schale und empfahl sich mit höflichem Abschiedsgruß. Auch die Matrone stemmte sich aus dem Wasser. Das nasse Hemd umgab ihren Körper wie eine zweite Haut und ließ jeden Wulst und jede Vertiefung ihrer unförmigen Mitte sichtbar werden. Beim Aussteigen drängte sich ihr Hintern gegen Veits Gesicht, er musste sich nach hinten beugen, um nicht unnötig Bekanntschaft mit den wabbelnden Massen zu machen. Madlen unterdrückte ein Kichern, und auch Veit machte aus seiner Erheiterung keinen Hehl.
»Wollen wir noch einen Nachguss nehmen?«, fragte er.
»Warum nicht.« Madlen winkte dem Bader. Abgesehen von ihrem Hunger fühlte sie sich wohl, das warme Wasser tat ihr gut. Sie fragte sich, warum sie nicht öfter ins Badehaus ging. Viele Leute, die sie kannte, gönnten es sich jede Woche, nicht nur, weil sie auf Sauberkeit hielten, sondern weil es Gelegenheit zu einem willkommenen Schwatz bot. Madlen schätzte daran eher, auch einmal für sich zu sein und nichts weiter tun zu müssen, als sich zu entspannen und für eine kurze Weile mit allen Sinnen den Müßiggang zu genießen, der ihr sonst fremd war. Sie hatte vorhin sogar überlegt, sich wie die anderen auf die Bank neben den großen Ofen zu setzen und sich vom Bader abbürsten zu lassen, doch die Blicke, mit denen er die jüngeren Frauen bedachte, hatten sie davon abgehalten. Ihr Hemd war noch dünner und kürzer als das der Frau, die eben noch bei ihnen im Zuber
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