Das Erbe der Carringtons
erst gestern Abend gesehen
hatte, aber trotzdem schon unheimlich vermisste. Sie konnte sich beinahe
bildlich vorstellen, wie sie mit Lorraine und den anderen an einem Tisch saß,
einen Hexen-Cocktail schlürfte, der viel besser schmeckte als alles, was es
hier zu trinken gab, die Farben von Lichtern im Club veränderte, neue
Zaubereien lernte und zusah wie Lorraine, Joanne, Elaine oder Cassy die
Getränke von anderen Wesen mithilfe von Magie vertauschten, Stühle verrückten,
Glitter über küssenden Paaren regnen ließen oder sich irgendwelche anderen
lustigen, magischen Spielchen und Scherze ausdachten.
Sarah
seufzte leise und versuchte, sich wieder auf ihre Umgebung und Selina zu
konzentrieren. Sie würde doch noch einen Abend ohne Magie, Hexen und das
Pandora aushalten, oder? Es wäre lächerlich, wenn sie sich mit normalen
Menschen nicht mehr amüsieren könnte. Gutaussehende, junge Männer gab es hier
genügend. Es war bestimmt einer dabei, mit dem sie sich gut verstehen würde.
Als sie ihren Blick durch den Raum schweifen ließ, entdeckte sie einen großen
Mann mit langen, dunklen Haaren. Es war der Fremde, den sie an ihrem ersten Abend
im Pandora gesehen hatte. Er betrachtete sie wieder genauso eindringlich wie
damals.
„Sarah!“
Blinzelnd
drehte sie sich zu Selina, die sie stirnrunzelnd ansah.
„Alles
okay mit dir?“
„Ja,
alles klar“, antwortete Sarah schnell. Dann drehte sie sich zurück in Richtung
des Fremden, fand ihn aber nicht mehr. War er wirklich hier gewesen oder hatte
sie ihn sich eingebildet? Sie hatte schon öfter geglaubt, ihn irgendwo gesehen
zu haben, aber er verschwand immer gleich wieder. Oder bekam sie ihn nicht aus
ihrem Kopf und bildet sich alles ein? Sah sie ihn möglicherweise immer wieder,
weil er ihr mehr gefallen hatte, als sie dachte? War sie deshalb nicht so recht
an anderen Männern interessiert? Nein, er war ganz sicher nicht ihr Typ. Er war
zu düster. Bestimmt war sie ihm nur ein paar Mal irgendwo begegnet. Es war
Zufall und keine Einbildung oder Wunschdenken ihrerseits.
Als
zwei gut aussehende, junge Männer mit Getränken auf sie und Selina zukamen,
schob Sarah ihre Gedanken an den Fremden beiseite. Die beiden wirkten fröhlich
und gefielen ihr deshalb besser. Einen davon kannte sie flüchtig aus ihren
Vorlesungen. Er begrüßte sie, als wären sie alte Freunde und schenkte Selina
ein strahlendes Lächeln. Sarah schmunzelte, bevor sie die beiden einander
vorstellte.
Ungefähr
eine Stunde später kam Sarah aus dem Bad und wollte gerade zu Selina, Matt und
James zurückgehen, überlegte es sich aber anders. Matt war nett, aber total auf
Selina fixiert. Das machte Sarah zwar nichts aus, vor allem weil Lina ihn auch
zu mögen schien, aber sein Freund James, mit dem Sarah sich notgedrungenerweise
die letzte Stunde ‚unterhalten’ hatte, war total nervig. Er sah zwar gut aus,
wusste das aber auch und verhielt sich dementsprechend. Er war viel zu arrogant
und erzählte die ganze Zeit nur von sich. Es hatte ihm anscheinend noch keiner
gesagt, dass Frauen ein bisschen Aufmerksamkeit und Interesse an ihnen mehr
schätzten, als Monologe und gutes Aussehen. Sie hatte keine Lust mehr auf ihn.
Sarah
holte ihr Smartphone aus ihrer Tasche, hatte jedoch keine neuen Nachrichten.
Lorraine hatte aufgegeben. Obwohl Sarah das noch vor einer Weile gehofft hatte,
fühlte sie sich nun ein wenig enttäuscht. Sollte sie vielleicht doch noch ins
Pandora gehen? Sie war sich nicht sicher, vor allem weil sie schon ziemlich
angetrunken war. Einem eingebildeten Typen eine Stunde zuzuhören, war ohne
Alkohol unerträglich. Am besten sie ging erst einmal in ihren Gemeinschaftsraum,
etwas Alkoholfreies trinken. Dann konnte sie sich immer noch überlegen, was sie
machen sollte.
Ihre
Wohneinheit war am Ende des Ganges, wodurch hier nicht so viel los war. Als sie
die Tür öffnete, schreckte sie ein Pärchen auf, das ihr Sofa vereinnahmt hatte.
Die beiden standen auf und zogen ihre Klamotten zurecht, bevor sie torkelnd
verschwanden. Sarah beschloss, nicht darüber nachzudenken, was auf ihrer Couch
abgegangen war oder noch hätte passieren können, wenn sie nicht hereingekommen
wäre. Stattdessen holte sie sich ein Mineralwasser und setzte sich in den
Sessel. Kaum hatte sie einen Schluck genommen, kamen Kelly und Frank herein.
Auch sie waren angeheitert und kicherten leise. Dann bemerkten sie, dass sie
nicht allein waren.
„Sarah,
was machst du denn hier?“, wollte ihre Freundin überrascht
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