Das Erbe der Elfen
unschädliche Mittel waren. Entschuldige, meine Liebe, aber davon verstehe ich mehr als du. Ich weiß, dass es dir über alle Maßen schwerfällt, jemandes Autorität anzuerkennen, aber in diesem Fall muss ich sie gegen dich geltend machen. Und dabei wollen wir es bewenden lassen.«
»Wie du willst.« Yennefer presste die Lippen zusammen. »Na, komm, Mädchen. Wir haben nicht allzu viel Zeit, es wäre eine Sünde, sie zu vergeuden.«
Ciri unterdrückte mit Mühe das Zittern ihrer Hände, schluckte, schaute Nenneke fragend an.
Das Gesicht der Erzpriesterin war ernst und wie bekümmert, und das Lächeln, mit dem sie auf die stumme Frage antwortete, widerwärtig gekünstelt. »Du wirst jetzt mit FrauYennefer gehen«, sagte sie. »Eine Zeitlang wird Frau Yennefer deine Betreuerin sein.«
Ciri senkte den Kopf, biss die Zähne zusammen.
»Du wunderst dich sicherlich«, fuhr Nenneke fort, »dass dich plötzlich eine Meisterin der Magie unter ihren Schutz nimmt. Aber du bist ein vernünftiges Mädchen, Ciri. Du kannst dir denken, was der Grund ist. Du hast von deinen Vorfahren gewisse ... Eigenschaften geerbt. Du weißt, wovon ich rede. Du bist zu mir gekommen, damals, nach diesen Träumen, nach dem nächtlichen Aufruhr im Dormitorium. Ich habe dir nicht helfen können. Aber Frau Yennefer ...«
»Frau Yennefer«, unterbrach sie die Zauberin, »wird tun, was zu tun ist. Gehen wir, Mädchen.«
»Geh.« Nenneke nickte und versuchte vergeblich, ihrem Lächeln wenigstens den Anschein von Natürlichkeit zu geben. »Geh, Kind. Denk daran, dass es eine große Ehre ist, jemanden wie Frau Yennefer zur Betreuerin zu haben. Mach dem Tempel und uns, deinen Lehrerinnen, keine Schande. Und sei gehorsam.«
Heute Nacht laufe ich weg, beschloss Ciri. Zurück nach Kaer Morhen. Ich stehle ein Pferd aus dem Stall, und mehr sehen sie hier nicht von mir. Ich werde fliehen!
»Genau«, sagte die Zauberin halblaut.
»Wie bitte?« Die Priesterin hob den Kopf. »Was hast du gesagt?«
»Nichts, nichts.« Yennefer lächelte. »Es ist dir nur so vorgekommen. Oder vielleicht ist es mir so vorgekommen? Schau dir deinen Schützling an, Nenneke. Wütend wie eine Katze. Die Augen funkeln, gleich wird sie losfauchen, und wenn sie die Ohren anlegen könnte, täte sie’s. Eine Hexerin! Ich werde sie hart an die Kandare nehmen müssen, ihr die Krallen stutzen.«
»Mehr Verständnis.« Die Züge der Erzpriesterin wurden sichtlich härter. »Bitte begegne ihr mit Herz und Verständnis. Sie ist wirklich nicht, wofür du sie hältst.«
»Was willst du damit sagen?«
»Sie ist nicht deine Rivalin, Yennefer.«
Einen Moment lang maßen sie einander mit Blicken, beide, die Zauberin und die Priesterin, und Ciri spürte ein Zittern in der Luft, eine seltsame, schreckliche Kraft, die zwischen ihnen hin und her floss. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann verschwand die Kraft, und Yennefer lachte auf, ungezwungen und klangvoll.
»Ich hatte es vergessen«, sagte sie. »Immer auf seiner Seite, was, Nenneke? Immer voll Sorge um ihn. Wie eine Mutter, die er niemals hatte.«
»Und du bist immer gegen ihn.« Die Priesterin lächelte. »Wie üblich bedenkst du ihn mit starken Gefühlen. Und du wehrst dich aus ganzer Kraft dagegen, dieses Gefühl womöglich beim wahren Namen zu nennen.«
Wieder spürte Ciri, wie irgendwo unten im Bauch Wut aufstieg, in den Schläfen Starrsinn und Aufsässigkeit pochten. Sie rief sich in Erinnerung, wie oft und bei welchen Gelegenheiten sie diesen Namen gehört hatte. Yennefer. Den Namen, der Unruhe auslöste, der für irgendein bedrohliches Geheimnis stand. Sie konnte sich denken, was das für ein Geheimnis war.
Sie reden vor mir ganz offen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, dachte sie, und sie spürte, wie ihre Hände abermals zu zittern begannen. Sie kümmern sich überhaupt nicht um mich. Beachten mich nicht. Als wäre ich ein Kind. Sie reden vor mir, in meiner Anwesenheit, und über Geralt, aber das dürfen sie ja nicht, denn ich ... ich bin ...
Wer?
»Du wiederum, Nenneke«, entgegnete die Zauberin, »ergehst dich wie üblich in Analysen fremder Gefühle und deutest sie zu allem Überfluss auch noch nach eigenem Gutdünken!«
»Und ich stecke meine Nase in fremde Angelegenheiten?«
»Das wollte ich nicht sagen.« Yennefer schüttelte die schwarzen Locken, und die Locken glänzten auf und wanden sich wie Schlangen. »Danke, dass du das für mich getan hast. Doch jetzt wollen wir bitte das Thema
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