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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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sich neben ihn und verfolgte, wie ein etwa achtjähriger Page mit dem Sattel des Wallachs kämpfte, den er in Richtung Koppel davongeführt hatte.
    »Wenn du jetzt noch ein wenig mehr auf die Balance achtest«, belehrte Bolko den erschöpften Wulf, »dann wird aus dir ein Kämpfer, vor dem selbst erfahrene Ritter sich in Acht nehmen sollten.« Die Begeisterung verlieh seinem von Narben entstellten Gesicht ein ungewohntes Leuchten. »Ich habe selten einen so talentierten Lanzenreiter gesehen! Und das, obwohl du dich noch vor einer Woche kaum im Sattel halten konntest.«
    Wulf grinste und wischte sich den in Strömen laufenden Schweiß aus dem Gesicht. »Das verdanke ich nur Euch«, erwiderte er bescheiden. »Wenn Ihr mich nicht jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gequält hättet, wüsste ich immer noch nicht, wo vorne und hinten ist.« Ein merkwürdiger Stolz erfüllte seine Brust. Wenngleich er Bolko an den ersten beiden Tagen nach der Falkenjagd zur Hölle gewünscht hatte, war er dem zwar unerbittlichen, aber geduldigen Waffenmeister inzwischen dankbar dafür, dass er ihn so gnadenlos geschunden hatte. Seltsamerweise hatte er – sobald Bolko ihm eine Lanze in die Hand gedrückt hatte – das Gefühl gehabt, genau zu wissen, was er tun musste. Er rieb sich das von der Anstrengung stechende Handgelenk. Beinah als erinnere er sich an Dinge, die er noch nie zuvor gemacht hatte. Die honigsüße Hochstimmung breitete sich weiter aus. Nie wieder würden Friko von Oettingen und Hartmann von Grafeneck ihn einen ungeschliffenen Bauernlümmel nennen! Er hätte am liebsten lauthals gelacht, als sein Blick auf den überrumpelten Verlierer fiel, der sich humpelnd mithilfe der beiden Knechte auf die Burg zuschleppte.
    Der dumpfe Knall einer auf Holz auftreffenden Lanze ließ seinen Kopf zu den anderen beiden Kämpfern herumfahren. Wie er selbst vorhin trugen auch sie die volle Rüstung und fochten mit entschärften Waffen. Anders als bei Friko und ihm spiegelte sich in dem Ritt der beiden Freunde jedoch weder der Hass noch die Verachtung wider, welche die beiden Rivalen dazu angespornt hatten, bis an die Grenzen ihrer Geschicklichkeit zu gehen. Was dazu führte, dass trotz eines Treffers von Johanns Lanze keiner der beiden Reiter den Halt verlor. Gemächlich trabten sie zurück zu den Enden der hölzernen Unterteilung, wendeten ihre Pferde und ritten erneut gegeneinander an. Dieses Mal gelang Bruno der bessere Stoß, sodass Johann wie eine Gliederpuppe nach hinten sackte und aus dem Steigbügel rutschte. Mit einem unschönen Fluch gelang es ihm gerade noch rechtzeitig, sein Reittier zu zügeln, bevor er wie ein Sack Mehl aus dem Sattel glitt und mit dem Allerwertesten voraus auf dem vertrockneten Gras aufkam.
    »Das ist genug für heute!«, dröhnte Bolko, der federnd auf die Beine kam. Unsanft zog er Johann von Falkenstein in die Höhe und versetzte ihm einen Schlag auf den verrutschten Helm, sodass der junge Mann schmerzhaft das Gesicht verzog. »Pater Ignatius wartet auf euch.« An Wulf gewandt, der ihm gefolgt war, setzte er hinzu: »Wenn du willst, kannst du nach dem Unterricht zu mir kommen. Dann zeige ich dir, wie du den Umgang mit dem Schwert verbessern kannst. Wenn du genauso viel Talent im Fechten besitzt, dann hat dein Vater allen Grund, stolz auf dich zu sein.« Er schenkte seinem Schützling ein letztes schiefes Lächeln, bevor er sich abwandte und schimpfend zwischen die über ihre eigenen Füße fallenden Pagen fuhr, die seine Standpauke mit gesenkten Köpfen über sich ergehen ließen.
    Da er nicht gerade versessen darauf war, den langweiligen Ausführungen des greisen Dorfpfarrers zu folgen, trödelte Wulf noch eine Weile vor dem Zelt herum und genoss das Gefühl der Freiheit und des Triumphes. Sehnsüchtig sog er den schweren, würzigen Geruch frisch geschälter Bäume und gemähten Grases ein, da es in der winzigen Schreib- und Lesestube stets nach ranzigem Lampenöl und dem Mief vergangener Jahrzehnte stank. Wie wenig Lust er hatte, sich mit langweiligen Texten aus verstaubter Vorzeit herumzuschlagen! Neidisch verfolgte er den launenhaften Flug einer Handvoll Schwalben, die sich unter schrillem Kreischen über Dächer und durch Torbögen hindurch jagten, bevor sie in halsbrecherischer Geschwindigkeit ihre unter den Dachvorsprüngen hängenden Nester anflogen. Wie gerne er jetzt an ihrer Stelle wäre! Er stieß die Luft durch die Zähne aus und zupfte mit den Fingernägeln an einem Stück sich

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